Er sieht dich wenn du schläfst
Schwester
ihm nachdrücklich mitgeteilt, dann aber hinzugefügt, Mrs. Kramer sitze im Wartezimmer.
»Mrs. Kramer?«
Lee drehte sich mit einem Ruck um. »Ja. Ist etwas…?«
Die Anspannung auf Lee Kramers Gesicht war augenscheinlich. Sie sah aus, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube
erhalten. Ihr kurzes, aschblondes Haar, die blauen Augen und
der frische Teint sagten Meyers, dass sie wahrscheinlich ebenso
wie ihr Mann aus der Schweiz stammte.
Rich stellte sich vor und reichte ihr seine Visitenkarte. Ein
ängstlicher Ausdruck trat in ihr Gesicht. »FBI?«, fragte sie.
»Wir gehen der Vermutung nach, dass der Brand im Lager Ihres Mannes absichtlich gelegt wurde.«
»Absichtlich? Wer sollte so etwas tun?« Erstaunt riss sie die
Augen auf.
Meyers setzte sich auf den Plastikstuhl ihr gegenüber. »Wissen Sie etwas über Geld, das Ihr Mann sich geliehen hat?«
Lee schlug sich die Hand vor den Mund, und die Gedanken,
die sie den ganzen Tag über gequält hatten, purzelten nur so
heraus. »Als alles anders wurde und die Geschäfte schlecht liefen, haben wir eine zweite Hypothek auf unser Haus aufgenommen für jeden Cent, den die Bank uns leihen wollte. Auf
dem Lager lastet eine Hypothek, aber nur so hoch, wie wir es
beleihen konnten. Ich weiß, dass es unterversichert ist. Hans war
sich so sicher, dass das Geschäft wieder in Gang käme, wenn er
nur noch ein bisschen länger durchhielte. Er ist wirklich großartig.
Das von ihm ausgearbeitete Softwareprogramm wird garantiert ein Erfolg.« Sie verstummte. »Was spielt das jetzt noch für
eine Rolle? Wenn er nur durchkommt…«
»Mrs. Kramer, hat es zusätzlich zu den Hypotheken andere
Kredite gegeben, die Ihr Mann aufgenommen hat?«
»Ich wusste nichts davon, aber heute Morgen, nachdem wir
den Anruf wegen des Brandes erhalten hatten, sagte er so etwas
wie: ›Ich habe mir eine Menge Geld geliehen…‹«
Meyers Miene blieb ausdruckslos. »Hat er Ihnen gesagt, von
wem er es geliehen hat?«
»Nein.«
»Dann wissen Sie nicht zufällig, ob er gestern Abend jemanden wegen der Rückzahlung des geliehenen Geldes angerufen
und eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hat?«
»Nein, davon weiß ich nichts. Aber er war gestern Abend sehr
aufgeregt.«
»Mrs. Kramer, hat Ihr Mann ein Handy?«
»Ja.«
»Wir würden Sie gern um Erlaubnis bitten, seine Mailbox und
die Aufzeichnungen über Anrufe zu Hause zu überprüfen, um
festzustellen, ob er gestern Abend einen Anruf getätigt hat.«
»Wen hätte er anrufen sollen?«
»Leute, die ihm keine Kreditverlängerung einräumen.«
Innerlich vor Angst bebend, stellte Lee die nächste Frage.
»Steckt Hans in Schwierigkeiten?«
»Mit dem Gesetz? Nein. Wir wollen nur mit ihm über den
Kredit sprechen. Der Arzt sagt uns Bescheid, wenn wir zu ihm
können.«
»Falls es geht«, flüsterte Lee.
C
harlie Santoli hatte das Büro der
Badgetts möglichst schnell verlassen, nachdem sie über ihn hergefallen waren, weil es ihm nicht gelungen war, Billy Campbells
Schweigen zu erkaufen, doch um vier Uhr ließ Junior ihn noch
einmal zu sich rufen.
Er hastete durch den Flur und um die Ecke zur Vorstandssuite, die sich Junior und Eddie teilten. Ihre langjährige Sekretärin
saß am Schreibtisch. Vor Jahren war Charlie zu dem Schluss
gekommen, dass Lil wohl schon von klein auf einen missmutigen Gesichtsausdruck hatte. Jetzt, da sie die fünfzig überschritten hatte, war ihr Stirnrunzeln eine dauerhafte Einrichtung geworden. Trotzdem mochte er Lil, und sie war wohl der einzige
Mensch im Gebäude, der sich nicht vor Junior fürchtete.
Sie schaute auf, die Augen hinter den riesigen Brillengläsern
sahen extrem groß aus, und zeigte mit dem Daumen über die
Schulter, womit sie stets andeutete, dass er gleich hineingehen
konnte. Dann krächzte sie mit einer Stimme, die vom jahrelangen Kettenrauchen heiser war: »Die Laune hat sich etwas gebessert.« Sie hielt kurz inne. »Aber was soll’s.«
Charlie wusste, dass er nicht antworten musste. Er atmete
einmal tief durch und drückte die Tür auf.
Junior und Eddie saßen auf den Stühlen mit Zebramuster, ein
Glas in der Hand. Wenn der Geschäftstag zu Ende ging, nahmen
sie oft noch einen Drink zusammen, ehe sie in ihre Limousine
stiegen und nach Hause fuhren. Wenn Charlie zufällig zugegen
war, bot man ihm an, sich an der Bar zu bedienen.
Heute war nicht so ein Tag. Man bot ihm weder einen Drink
noch einen Stuhl an.
Junior schaute zu ihm herüber. »Für den Fall, dass
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