Er war ein Mann Gottes
Beine zwischen seinen Beinen ein. Ich zuckte zurück und versuchte, mit dem Stuhl nach hinten zu rücken, doch die Stuhlreihe hinter mir stand so eng, dass ich nicht ausweichen konnte. Frederic hatte mein Manöver bemerkt, sagte aber nichts. Auch ich brachte kein Wort hervor.
Im Schutz der tief auf den Boden hängenden Papierdecke drückten seine Unterschenkel fest und immer fester, wie streichelnd, gegen meine Wade. Dann krabbelten seine Zehen an meinem Bein hoch. Am Knie hielten sie inne, streichelten mich und versuchten, sich zwischen meine fest zusammengepressten Schenkel zu schieben. Dabei plauderte und scherzte Frederic mit seinem Sitznachbarn, als führten seine Füße ein Eigenleben unter dem Tisch.
Was Frederic da machte, wusste ich. Er füßelte mit mir. Liebespaare machten das. Es war ungefähr wie Händchenhalten, nur mit den Füßen. Wenn zwei unter uns »Minis« verknallt waren, machten sie das auch.
Aber warum machte er das? Er war ein Mann Gottes. Er durfte das nicht. Und ich war ein Kind. Ich wurde rot, weil mir einfiel, wie ich ihm in meinem ersten Beichtgespräch gestanden hatte, auf einen Kaplan zu stehen. Ich hatte extra »Kaplan« gesagt statt »Vikar« und keine Namen genannt. Er hatte nach keinem Namen gefragt. Aber wenn er mich ansah, war es seitdem irgendwie anders, irgendwie komisch zwischen uns. Es war, als wollten seine Blicke mich durchbohren oder bis auf den Grund meiner sündigen Seele schauen. Ich konnte es nicht erklären. Es war ein seltsames Gefühl.
Vielleicht machte Frederic das jetzt mit mir, weil er mich prüfen wollte? Vielleicht war das nur ein Test, ob ich es mit der Beichte ernst gemeint hatte? Ich schämte mich schrecklich und wagte keinen Blick zu ihm hinüber. Frederic würde bestimmt schlecht von mir denken, weil ich meine Beine nicht wegzog. Aber weiter als ich es bereits getan hatte, konnte ich sie nicht wegziehen.
»Magst du noch eine Cola?« Frederics Stimme hörte sich kein bisschen böse an. Und er schaute mich auch nicht so an.
Schüchtern wagte ich zu nicken. »Ja, danke, gern.«
Frederics Zehen streichelten über mein Schienbein. Sanft fühlte es sich an und ein bisschen kitzelig. Er lächelte mich an, als die Bedienung mit der bestellten Cola kam und schob das Glas über den Tisch zu mir. »Zum Wohl, Cora!«
»Er macht das, weil er dein Freund ist«, redete ich mir ein. »Weil er dir zeigen will, dass er dich mag. Weil es keiner sehen darf. Weil unter dem Tisch keiner hinschaut. Das ist nichts. Das ist gar kein richtiges Füßeln.«
Ich hatte keinen Tropfen Alkohol getrunken, aber mir war trotzdem schwindlig, als hätte ich einen Rausch.
Noch beunruhigender wurde es, als ich Frederic eines Abends mit gerötetem Gesicht, offenem Hemdkragen und lauthals dummes Zeug redend bei meiner Tante Isidora antraf, die ihn zu sich nach Hause eingeladen hatte, während meine Eltern auf Reisen waren und ich vorübergehend bei ihr übernachtete.
Obwohl ich Frederic bereits bei meinen Eltern Alkohol trinken gesehen hatte und wusste, dass er dort zumindest angetrunken gewesen war, hob es mein Weltbild aus den Angeln, ihn jetzt schwankend und lallend nicht bloß trinken, sondern saufen zu sehen.
Damals bei uns zu Hause war das kindliche Vertrauen in meinen Vater so groß gewesen, dass ich mir sicher war, in seiner Gegenwart könne nichts Böses passieren. Jetzt aber saß unser Vikar sturzbetrunken bei einer Frau, die noch dazu dauernd neue Liebhaber hatte. Warum besuchte er meine Tante, die keinen Mann hatte, obwohl er Priester war? Hatten er und meine Tante etwa schon so viel getrunken, dass sie dies vergessen hatten? Machte meine Tante sich etwa an ihn ran? Erst kürzlich hatte sie sich mit ihrem Verlobten zerstritten und ihm den Laufpass gegeben. Wollte sie jetzt unseren Vikar?
»Wenn die Isi einen Mann braucht, ist ihr jeder recht«, hatte meine Mutter einmal zu meinem Lieblingsonkel gesagt.
»Was stehst du da an der Tür herum, Cora!«, fuhr meine Tante mich an und stach mit ihrem Zeigefinger in meine Richtung, als wollte sich mich durchbohren. »Spionierst du uns etwa aus? Geh sofort ins Bett, du neugierige kleine Kröte!«
Frederic lachte laut auf, was das Schlimmste war. Wie von Furien gejagt, rannte ich aus dem Zimmer und warf mich der Länge nach auf mein Bett. Wenn das raus käme, wenn das der Kirchengemeinderat erfahren würde, würde Frederic niemals Pfarrer bei uns werden.
Obwohl ich entsetzt war über das, was ich gesehen hatte, traute ich
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