Er war ein Mann Gottes
lieben muss.
Diese Freundschaft, die nur ich wahrnehmen durfte, war mein zweites Geheimnis, das ich für Frederic bewahrte, um ihn vor der Gemeinde zu schützen.
»Aber wenn er doch gar nie etwas sagt, woher weißt du das denn so genau?«, fragte Franziska manchmal, wenn ich ihr, meiner späteren besten Freundin, anvertraute, dass unser Vikar mein Freund sei.
»Ich merke es halt.«
»Und wieso sagt er das nicht einfach?«
Wie sollte ich Franziska etwas erklären, was so geheim war, dass ich nicht einmal darüber nachzudenken wagte?
Viel zu nah
Wie anfangs versprochen, war Frederic wirklich immer für uns da, wenn wir das Bedürfnis hatten, uns mit ihm auszusprechen oder seinen Rat suchten. Ob es um Schulprobleme oder Hausaufgabenhilfe ging, um Liebeskummer oder Fußbai ltraining, er hatte ein offenes Ohr, er half, machte mit. Wir spürten oft kaum, dass er älter war als wir, viel älter sogar, dass er nicht nur unser geistiger Vater war, sondern leicht hätte unser leiblicher Vater sein können. Frederic war für uns »einfach toll«, »große Klasse«, »einsame Spitze«.
Es gab wohl niemanden unter uns, weder Junge noch Mädchen, der nicht für ihn durchs Feuer gegangen wäre. Er war unser Idol, und wenn ich mich in Meditationen und Andachten übte, wie Frederic es uns lehrte, so trug Jesus Christus vor meinem inneren Auge in aller Verborgenheit sein Gesicht.
Im Spätsommer war die erste Ministrantinnengruppe meines Wohnortes gegründet worden. Im Herbst waren wir Mädchen erstmals feierlich in die Kirche eingezogen. Im Advent hatte ich Frederic bei meinen Eltern erstmals betrunken gesehen und seine ganz besondere Nähe zu mir erlebt. Im Januar des neuen Jahres verkündete er uns, dass er mit Einverständnis von Herrn Pfarrer Punktum und des Kirchengemeinderats, dem auch mein Vater angehörte, für die gesamte Ministrantengruppe eine Pilgerfahrt ins italienische Assisi plane.
Sie sollte am zweiten April des neuen Jahres beginnen und eine Woche dauern. Für Verpflegung und Unterkunft war vor Ort in einem Kloster gesorgt. Die Reisekosten trug die Kirche.
Gemeinsam auf den Spuren des heiligen Franziskus von Assisi wandelnd, werde diese Reise uns Ministranten und Ministrantinnen im Geist des »Troubadour-Minnesänger Gottes« endgültig zusammenschweißen. Deshalb sei es wünschenswert, dass möglichst alle mitkommen dürften. Er sei gern bereit, persönlich mit den Eltern zu sprechen, falls diese nicht sofort einverstanden wären.
Ob wir tatsächlich vollzählig nach Assisi reisten, weiß ich nicht mehr. Andere Mädchen, die ebenfalls erst zwölf waren, hatten Schwierigkeiten daheim bekommen und mussten durch Frederic losgeeist werden. Mein Ehrgeiz war, das Problem allein zu lösen.
Der schnellste Weg zum Erfolg war, meinen Vater einzuweihen.
»Paps!« Ich zog das A lang und schaute ihn von unten herauf an, während ich mich an seine Schulter lehnte. »Paps, du weißt doch bestimmt schon, dass wir mit dem Herrn Vikar nach Assisi reisen.«
»Wir?« Mein Vater ließ das Geschirrspültuch sinken, mit dem er soeben in der Küche hantierte.
»Ja, wir von der Ministrantengruppe.«
»Ob dir das die Mama erlaubt?« Mein Vater wiegte zweifelnd den Kopf.
»Ach, Papi!« Ich griff mir ebenfalls ein Geschirrtuch und polierte eines der frisch gespülten Gläser. »Wenn du es erlaubst, hat sie nichts dagegen. Bitte! Erlaubst du es?«
»Du warst noch nie allein im Urlaub«, meinte mein Vater.
»Ja, und? Alle fahren mit. Alle dürfen.« Ich tat, als ob ich gleich weinen müsste. »Ach, Daddy, bitte, bitte, sag doch ja. Bitte!«
Das weiche Herz meines Vaters schmolz dahin. »Also gut, von mir aus. Aber...« Er schob mich auf Armeslänge von sich und blickte mich so streng an, wie er konnte. »Aber dass mir ja keine Klagen kommen. Dass der Herr Vikar sich nur ja nicht über dich beschweren muss. Du weißt, es würde deiner Mutter das Herz brechen. Versprichst du mir, brav zu sein?«‘
»Ja, ich schwöre! Ich bin brav, Paps. Bestimmt!« Ich hätte in diesem Moment alles geschworen.
Wie erwartet, übernahm mein Vater nun den Rest der Angelegenheit. Er informierte meine Mutter, dass ich nach Assisi reisen würde, und stellte sie dadurch vor vollendete Tatsachen. So musste sie sich gar nicht erst Gedanken darüber machen, ob eine Teilnahme an der Fahrt gut für mich wäre.
Vermutlich hätte sie nichts dagegen einzuwenden gehabt, schließlich ging es ja um eine Kirchenangelegenheit. Trotzdem wollte mein Vater sie
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