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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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müsste lügen, wollte ich behaupten, es mir von ihr nicht gewünscht zu haben. Aber ich nahm es ihr nicht übel, dass sie es nicht konnte. Sie war eine kranke Frau. Sie hatte mit sich selbst zu tun. Aber mein Vater, dem ich um alles in der Welt so viel bedeuten wollte, wie er mir bedeutete! Von ihm verraten worden zu sein tat unsagbar weh.

Geheimnisse bewahren

    Waren die Dienstage für den Frühgottesdienst reserviert, den wir alsbald in »Frühschicht« umtauften, kam am Mittwochabend die »stille Anbetung« hinzu, die wir folgerichtig »Spätschicht« nannten.
    Ähnlich wie in der »Frühschicht« war nicht die Andachtsstunde mein eigentlicher Anlass zum Kirchgang. Ich wusste, Frederic erwartete mich. Seine Augen grüßten mich, sobald ich kam. Ich fühlte die Nähe zwischen uns so intensiv, was ich nie jemandem verraten hätte. Ich hätte es allerdings auch gar nicht erklären können.
    Alle anderen Menschen in der Gemeinde sahen in dem neuen Vikar etwas Heiliges, über alle Maßen Erhabenes, Überweltliches und Übermenschliches. Und da hatte ich ihn zu Hause bei meinen Eltern erlebt, wie er, ganz Mensch, mit ihnen gegessen und getrunken hatte. Da war der Tisch voll mit Leckerbissen gewesen und reichlich Alkohol geflossen. Und er hatte sich nicht zurückgehalten. Im Gegenteil, er hatte herzhaft zugelangt und mit Vergnügen gespeist und getrunken. Er hatte sogar über die altbackenen Witze meines Vaters gelacht und selbst welche erzählt. Ich hatte gesehen, dass er ganz und gar nicht auf alles Weltliche verzichtete, wie man es von einem Priester behauptete.
    Frederic benahm sich nicht anders als die Geistlichen in meiner Familie, aber in meiner Verehrung erhöhte ich ihn. Und in dieses Bild passten Völlerei und Prasserei nicht, und ich ging in meiner kindlichen Gedankenwelt fest davon aus, dass auch alle anderen ihn so sehen mussten. Immerhin sollte er in zwei Jahren unser neuer Pfarrer werden, sobald der alte Herr Pfarrer in Pension gehen würde. Ich wusste, dass der Kirchengemeinderat ein scharfes Auge darauf haben würde, wie würdig der neue Vikar sich im Hinblick auf sein künftiges Amt verhielt. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass Frederic dieser Nachfolger werden würde. Ich wollte ihn nie mehr verlieren.
    Allein in meinem Zimmer, nahm ich mir vor, zu niemandem ein Wort darüber zu verlieren, dass ich unseren neuen Vikar beim Alkoholtrinken gesehen hatte. Niemand sollte an seiner Unbescholtenheit zweifeln. Ich würde ihn mit meinem Schweigen beschützen und fühlte mich ihm sehr verbunden, weil ich dieses Geheimnis für ihn bewahrte.

    Sooft ich unseren Vikar künftig sah, fühlte ich unser Geheimnis wie einen warmen Ofen. Es war schön, etwas mit ihm zu teilen, wovon niemand wusste. Dass er selbst es auch nicht wusste, machte mir nichts aus. Ich war ja an Schweigen und Verschweigen gewöhnt.
    Frederic zuzusehen, wie er am Altar des Herrn Dienst tat, hatte seitdem etwas heimlich Wonniges für mich, weil ich mich so fühlte, als hätte ich Anteil daran, dass er diesen Dienst immer noch tun dürfe. Für alle anderen würde er »irgendwie verkehrt« wirken, wenn sie wüssten, was ich von ihm wusste. Durch mich blieb er gleichwohl »richtig«.
    »Der macht halt eben auch nicht nur, was erlaubt ist«, dachte ich und zog Parallelen zu mir. »Der ist auch nicht bloß gehorsam und immer leise und macht keine Probleme. Der tanzt auch aus der Reihe. Der ist genauso ein >enfant terrible< wie ich. Und trotzdem hat Gott ihn berufen. Gott weiß halt, wie wir wirklich sind.«
    In seiner menschlichen Schwäche schien Frederic mir ungeheuer vertraut.
    Alle anderen behandelten ihn, als wäre er gerade so ein Schnitzbild aus Holz wie unser Herr Jesus am Kreuz. Aber ich, ich hatte ihn ganz anders gesehen. Als lebendigen Menschen, als normalen Mann. So, wie Gott ihn geschaffen hatte. Und ich wusste, dass er das wusste.

    Seine lieben »Extrasätzle«, die Extraminuten, die er mit mir im Beichtzimmer verbrachte, seinen namentlichen Gruß in der Öffentlichkeit der Straße, sein kurzes Grüßen mit den Augen, wenn ich kam und er mit anderen sprach, all das schienen kostbare Beweise.
    Alles zusammen brachte diese menschliche Nähe hervor, die er, wie ich annahm, nur mit mir teilte. Diese besondere Nähe, die ihn trotz seines hohen Amtes für mich da sein ließ und trotz unseres Altersunterschieds zu meinem Freund machte, obwohl ein geweihter Mann Gottes keine Freundin haben darf, sondern alle Menschen gleichermaßen

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