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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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»Eierlikör«, grinste er. »Die Frau vom Vogthof macht ihn selbst. Du weißt schon, die mit der Hühnerzucht. Sie schenkt mir immer mal eine Flasche, wenn sie zur Beichte kommt.«
    Ich nickte. Auch meine Eltern bezogen frische Eier, Holzofenbrot und gelegentlich ein Brathähnchen vom Vogthof. Trotzdem war mir unwohl zumute, als Frederic sich mit zwei Cognacschwenkern neben mich auf das Sofa setzte und beide Gläser bis zur Hälfte mit Eierlikör füllte. »Herzlich willkommen, Cora!« Er stieß mit mir an und sah zu, wie ich den ersten Schluck nahm, ehe auch er an seinem Glas nippte.
    Der Eierlikör schmeckte süß, ähnlich wie der Eierbiskuitteig, den meine Mutter zum sonntäglichen Obstkuchen backte. Eigentlich mochte ich ihn nicht. Aber gesagt habe ich es nicht. Lieber hätte ich mir die Zunge abgebissen. Dieser Eierlikör bedeutete mehr als ein Getränk. Er schien zu beweisen, dass Frederic kein dummes Ding in mir sah, sondern mich ernst nahm.
    Ähnlich war es mit der Musik, die wir an diesem ersten Abend zusammen hörten. Wie ich in meinem Tagebuch notierte, lieh Frederic mir eine Musikkassette der Gruppe BAP, die ich von nun an während der ganzen Assisi-Reise und zum Leidwesen meiner Mutter auch zu Hause fast Tag und Nacht dröhnen ließ.
    Bis dahin hatte ich trotz meines oft schrillen Outfits und meiner großen Klappe ganz überwiegend volkstümliche Musik gehört, klassische Stücke gespielt und im Ballett nach klassischer Musik getanzt. BAP kannte ich aus dem Radio. Aber mir hatte die Gruppe überhaupt nicht gefallen. Was mich jetzt daran beeindruckte, war immer noch nicht die Musik. Was zählte, war nur, dass Frederic sie liebte. Mit ihm seine Musik zu hören, seinen Likör zu trinken, seine Zeit zu verbringen war umwerfend berührend. Ich fühlte mich so geehrt.
    Dass er mir zutraute, seine Musik zu verstehen, beschwor eine Gemeinsamkeit zwischen uns herauf, die ich in meiner Familie, bei meinen Eltern so schmerzlich vermisste. Und es machte mich unbändig stolz, dieser Gemeinsamkeit mit ihm für würdig befunden worden zu sein.
    »Seine« Musik und Eierlikör, der später durch Kirschlikör ersetzt wurde, der mir besser schmeckte, wurden für mich gleichbedeutend mit einem Schlüssel in eine andere Welt. In dieser, seiner Welt war ich kein dummes Ding mehr, kein ungewolltes, überflüssiges, im Stich gelassenes, immer »irgendwie verkehrtes« Etwas. Hier war ich diejenige, die Frederic als Auserwählte unter vielen einlud, weil er mit mir reden und ernsthaft freundschaftlich mit mir zusa mm en sein wollte.
    Wie er mir sagte, war ich diese Auserwählte, weil ich ihm von Gott anvertraut worden sei. In meinen Träumen war er mein wahrer, mir von Gott gesandter Freund. Wie dankbar ich ihm war!

    In mein Tagebuch schrieb ich damals:

    »Ich träume oft davon, dass mich jemand einfach in die Arme nimmt und mich festhält und nie mehr loslassen möchte. Ich träume davon, dass jemand mir sagt, er braucht mich mehr als alles auf der Welt, und mir seine Wärme schenken will. Ich träume davon, jemanden zu verstehen und verstanden zu werden, ohne viele Worte. Es genügt eine liebe Berührung oder ein warmer ehrlicher Blick. Ich wünsche mir kein leidenschaftliches Feuer, das nur kurz brennt. Ich sehne mich nach echter Freundschaft, nach Liebe, die ewig für mich da ist.«

    Gleichzeitig hatte ich Angst, doch enttäuscht zu werden, und schrieb zu dem Bild einer aus Stacheldraht wachsenden Rose:

    »Du sagst, du liebst Bäume, und sägst sie ab. Du sagst, du liebst Träume im Gras, und holst die Sense. Du sagst, du liebst Gewitter und die Luft danach, und verriegelst die Fenster. Du sagst, du liebst Fische, und harpunierst sie. Verstehst du, dass ich Angst vor dem Tag habe, an dem du sagst: >Ich liebe dich
    Als meinem Vikar, der als Ohr Gottes in der Beichte fungierte, hatte ich Frederic rückhaltlos anvertraut, dass ich mich in der Schule und zu Hause unglücklich und einsam fühlte und mich nach einem Freund sehnte. Verschämt und hauchleise hatte ich ihm im Schutz des Sprechgitters sogar gestanden, mich in einen Kaplan verliebt zu haben, der immer so nett zu mir sei.
    »Ein Priester«, hatte Frederic mir mit der freundlichen Stimme des alles verstehenden Beichtvaters erklärt, »ist tabu. Das weißt du ja. Deshalb darfst du ihn aber dennoch lieb behalten. Die Liebe kann man nicht verbieten. Sie ist ein Gottesgeschenk und etwas sehr Schönes, Heiliges. Man darf sie nur nicht immer verraten. Wenn du den

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