Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
Vom Netzwerk:
nicht in die Entscheidung einbeziehen. Es hätte ja sein können, dass sie sich aufregte und wieder krank würde.
    Noch am gleichen Abend rief ich Frederic an. »Ich bin dabei. Ich darf!«
    »Sicher?« Seine Stimme klang sogar am Telefon schön.
    »Ja, klar. Kein Problem. Meine Eltern linden’s toll!«
    »Du nicht?«
    Oh, Gott, warum hatte ich das nur so blöd ausgedrückt? Jetzt musste er denken, dass ich nicht gerne mitfahren wollte. Wie froh war ich, als Frederic plötzlich am anderen Ende der Leitung zu lachen begann. »Schon okay, Cora. Das war ein Scherz. Ich freu mich, dass du dabei bist.«
    Ich stand lange mit dem Hörer in der Hand. Er freute sich, dass ich dabei war. Er war mein Freund. Ganz gewiss.

    Zur Vorbereitung und uni unsere Erinnerungen an diese Pilgerfahrt für immer festzuhalten, erhielten wir jeder ein Tagebuch geschenkt. Vielleicht aus Kostengründen oder weil Frederic annahm, dass nichts Geheimes darin vermerkt werden würde, handelte es sich dabei nicht um eines dieser typischen Tagebücher mit Schlüssel, sondern um ein dickes Schreibheft mit einem festen Deckel und Lederrücken.
    Da ich alles, was von Frederic kam, großartig und einmalig fand, griff ich die Idee des Tagebuchschreibens begeistert auf und war bald so daran gewöhnt, dass es mir als dringendes Bedürfnis unverzichtbar wurde und mich durch mein ganzes Leben begleitete.
    Von der ersten Eintragung an ist dieses Tagebuch ein Spiegel der Heimlichkeit, von der mein Leben mehr und mehr überschattet wurde. Worte, die in mir brannten, aber nicht von mir ausgesprochen werden durften, hielt ich fest, indem ich Gedichte und Sentenzen abschrieb oder irgendwo kleine, mir aus der Seele sprechende Texte oder aussagekräftige Bildchen ausschnitt und in mein Tagebuch klebte. Meine eigenen handschriftlichen Eintragungen wirken daneben harmlos. So glaubte ich, meine Gedanken verschlüsseln zu können. Selbst wenn jemand die Einträge verbotenerweise lesen würde und entschlüsseln könnte, würde er nichts beweisen können.

    Dass zwischen mir und Frederic etwas anders war als zwischen ihm und den anderen Ministrantinnen, spürte nicht nur ich früh. Die anderen »Minis« stupsten sich an, kicherten und tuschelten hinter der vorgehaltenen Hand oder machten dumme Anspielungen, wenn ihnen auffiel, wie Frederic mich anschaute oder berührte. »Die haben ja keine Ahnung!«, beruhigte ich mich und wärmte meine Seele an meinen Geheimnissen, die ich für Frederic bewahrte.

    Natürlich spürte auch ich, dass seine Blicke mich wie Berührungen festhielten. Oft, wenn er mich ansah und seine Augen ewig nicht abwandte, wurde ich rot und bekam Herzklopfen. Es war mir peinlich. Und wenn Frederic dann endlich mit diesem komischen Lächeln wegschaute, das in diesen Momenten typisch für ihn war, atmete ich auf.
    Ganz ähnlich empfand ich seine seltsamen Berührungen, die in aller Verborgenheit stattfanden. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass sie nicht zufällig waren, obwohl sie so wirkten. Gleichzeitig schämte ich mich für diesen Gedanken.
    Ich denke zum Beispiel an die bis Mitternacht dauernde Nikolausfeier des Kirchenchors, an der ich zum ersten Mal ohne meine Mutter teilnahm. Frederic saß mir während des ganzen Abends direkt gegenüber und streckte seine Beine unter dem Tisch immer wieder so weit aus, dass er meine Beine berührte. Beim ersten Mal zog ich sie sofort erschrocken unter den Stuhl. Frederic entschuldigte sich, lachte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und lachte auch.
    Als er seine Beine wieder ausstreckte und mich abermals berührte, wurde ich rot. Ich konnte meine Beine nicht noch weiter zurückziehen. Und ich wusste, dass er das wusste. Frederic lachte wieder so seltsam und hielt meine Augen mit seinen Blicken fest. Diesmal entschuldigte er sich nicht bei mir. Stattdessen ließ er seine Beine ausgestreckt, so dass sie weiterhin meine Zehenspitzen berührten.
    Ich guckte unter mich. Sobald ich aufsah, begegnete ich seinen Augen. Ich wandte den Kopf. Drehte ich ihn zurück, schaute Frederic mich an. Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen stieg. Ich war blond, hatte sehr helle, zarte Haut. Sobald ich errötete, sah ich aus wie Rudolph Rentier mit der Glühnase. Jeder musste es sehen. Wie peinlich! Frederic lächelte mich über den Rand seines Weinglases hinweg an. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und weggerannt. Aber dann hätten doch erst recht alle zu mir hingeschaut.
    In diesem Augenblick fing er eines meiner

Weitere Kostenlose Bücher