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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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dem Duft von Espresso und Wein. Irgendwo lärmten Betrunkene.
    Während die anderen rasch den Heimweg einschlugen, kamen Frederic und einer der Oberministranten auf die Idee, einen kleinen Umweg zu machen. Die Nacht sei so mild, die Sterne so schön und der Anblick von einem bestimmten Punkt der Stadt aus über das nächtliche Assisi mit seinen glitzernden Straßenketten ein Traum. Keine Frage, dass ich mich ihnen anschließen wollte.

    Ich weiß nicht mehr, wann der Oberministrant uns verließ und auch wir endlich zum Kloster gingen. Es muss spät, sicher gegen Mitternacht gewesen sein. Lange hatten wir noch mit anderen aus unserer Gruppe am Brunnen und auf der Kirchtrep-pe am Marktplatz zusammengesessen, Wein direkt aus der Flasche getrunken, Gitarre gespielt, gesungen, geschwatzt.
    Jetzt war ich müde. Außerdem fror ich ein bisschen in meinem dünnen neuen T-Shirt. Der Abendwind trug die kühle Bergluft von den Apenninen herüber, die in einer Märznacht selbst im südlichen Assisi empfindlich frühlingsfrisch war.

    Frederic schritt schweigend neben mir her. Seine derben Schuhe polterten auf dem Straßenpflaster und der mit einem schwarzen Innenfutter ausgestattete Aufschlag seines unscheinbaren Jacketts wehte im Wind. Unter niedergeschlagenen Lidern schaute ich manchmal zu ihm, wagte jedoch kein Wort. In der Stille gingen wir wie zwei Fremde nebeneinander her. Über uns hing der Nachthimmel voller Sterne, die so viel größer, näher und funkelnder schienen als bei uns daheim.
    Als Frederics Hand in der Bewegung des Ausschreitens meine berührte, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, als wolle er sie ergreifen und festhalten. Händchenhalten mit Frederic in Assisi? Doch die Sekunde verging. Ich schob meine Hand in die Hosentasche.
    »Schau mal!« Lächelnd drehte er mich plötzlich an der Schulter in Richtung Stadt und zog mich an sich, hautnah stand er dabei hinter mir. Während er mit einer Hand über meine Schulter hinweg wie zufällig meinen Busenansatz streifte, deutete er mit dem anderen Arm über meine Schulter hinweg auf das Lichtermeer zu unseren Füßen. »Sterne unten wie oben.«
    Es war mir zu nah. Ich wollte das nicht. Unwillkürlich trat ich einen Schritt vor. Seine Hand, sein Arm glitten von mir ab. Stumm gingen wir weiter.

    Der Weg zum Kloster führte über eine lange Treppe mit breiten Stufen und großen Absätzen. Wie in einem Hohlweg verlief sie zwischen einer hohen fensterlosen Hauswand und einer niedrigen Schutzmauer zum Berghang hin. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Nur wir zwei.
    Als Frederic mich plötzlich auf einem dieser Absätze mit einer raschen, energischen Bewegung gegen die Hauswand drängte, wusste ich zuerst kaum, wie mir geschah. Irgendwie schien mein Kopf auszusetzen. Kein Denken mehr, nur Fühlen, nur Erwartung, nur Versteinerung, Starre innen und außen.
    Ich kam erst wieder zu mir, als ich merkte, wie stark sein Atem nach Wein und Cognac roch, während er beide Hände neben meinem Kopf gegen die Mauer stützte, seine Stirn gegen meine Stirn lehnte und seinen Körper gegen mich sinken ließ. Er war schwer, heiß, bedrängend. Ich hatte noch nie gespürt, wie es ist, wenn ein Mann erregt ist. Aber ich wusste aus dem Sexualkundeunterricht an der Schule, was körperlich passiert. Das fremde Körpergefühl an mir konnte nichts anderes sein. Ich wollte das alles nicht.
    Im Rücken spürte ich die Steine der Hauswand durch T-Shirt und Sommerhose drücken. Weiter zurück, weiter weg von Frederic konnte ich nicht. Seitlich hielten seine Arme mich fest. Von vorn drückte sein Körper. Wenn er jetzt, ich wusste nicht, was von mir wollen würde, könnte ich nichts dagegen machen.
    Er war größer, stärker als ich. Kein Mensch war da, der mir helfen würde. Panik stieg in mir auf. Was war das jetzt? Was sollte das? Sollte ich schreien?
    Als ich den Mund öffnete, begann Frederic mich zu küssen.
    Welcher Idiot hatte mir bloß weisgemacht, dass Zungenküsse schön wären? Ich fand sie nur schrecklich, eklig, klebrig, nass.
    »Bitte, ich will heim«, sagte ich irgendwann weinerlich und nach Luft schnappend und schaffte es irgendwie, beide Fäuste gegen Frederics Brust zu pressen.

    Er sah mich aus rot geränderten Augen an, die so nah vor meinem Gesicht waren, dass sie vor meinem Blick fast zu einem einzigen verschmolzen. »Was bin ich für dich?«, fragte er rau und entließ mich nicht aus der Klammer seiner Arme und seiner Augen und seines Gesichts, das sich

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