Er war ein Mann Gottes
mir erneut näherte. »Was willst du von mir?«
Was sollte ich darauf antworten? Was wollte er hören?
Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Er redete und redete. Nichts verstand ich. Sein Atem nahm mir den Atem. Sein Körper schien noch schwerer zu werden, schob mich pressend, reibend immer tiefer in die Hauswand hinein. »Gleich, gleich, gleich!«, dachte etwas in mir. »Gleich tut er es mit mir!« Verzweifelt warf ich den Kopf hin und her.
Ich wollte das nicht. Ich wollte das alles nicht.
Ich hatte es so schön gefunden, mit Frederic zusammen zu sein. Ich war so stolz gewesen, neben ihm zu sitzen, die Auserwählte an seiner Seite zu sein, von den anderen beneidet zu werden. Ich hatte mich so geehrt gefühlt, weil er mir, nur mir, Cognac in die Cola gemischt hatte. Ich hatte den Neid der anderen Mädels und besonders den von Estefania gespürt, als er mich vorhin mitgenommen hatte und mich persönlich zurückbegleiten wollte.
Aber jetzt? Es war nur schrecklich, so zwischen seinen Armen festgehalten, von seinem schweren Körper beinahe erdrückt zu werden.
Als ob eine Stimme von weit her in mir sagte, dass ich ganz furchtbare Angst vor Frederic haben und mich wehren müsste, versuchte ich nochmals meine Fäuste zu regen, drehte den Kopf erneut von seinem gierig suchenden Mund weg und krächzte endlich mit zittriger, wie ausgedörrter Stimme: »Bitte, ich will jetzt sofort weitergehen. Ich will ins Kloster gehen. Ich will heimgehen. Bitte!«
Vielleicht ernüchterte ihn das Wort »Kloster«. Vielleicht war es meine riesengroße Angst, die ihm auf einmal trotz seines vom Alkohol umnebelten Kopfes bewusst wurde. Auf jeden Fall rückte Frederic abrupt von mir ab und ließ mich laufen.
Erst als ich ihm auf der Treppe bereits weit voraushastete, so dass er sich beeilen musste, mich einzuholen, kam er mir nach und versuchte, mir irgendeinen beschwichtigenden Unsinn zu erzählen, an den ich mich heute kaum noch erinnere. Ich weiß nur, dass ich völlig durcheinander war, als ich schließlich im Gästehaus des Klosters verschwand.
Franziska, mein zweites Ich
Drinnen, hinter der schweren Eichentür, musste ich mich an die Wand lehnen, als sei alle Kraft aus meinen Beinen gewichen. Ich war vor Frederic, vor unserem Vikar, davongerannt. Was würde er jetzt von mir denken? Mir war entsetzlich bang.
Etwas war passiert. Etwas, das nicht hätte passieren dürfen. Oder war gar nichts geschehen? Bildete ich mir etwa alles nur ein? War ich schlecht? Hatte ich böse Gedanken? War ich abgrundtief verdorben?
Eingesperrt zwischen seinen Armen, unter seinem Körper. Was war das gewesen? Ich versuchte, mir klarzumachen, was ich erlebt, was ich gefühlt hatte. Wenn ich die Szene wie einen Film von außen betrachtete, kam sie mir vor wie eine Liebesszene. Frederic hatte mich nicht umarmt und doch zwischen seinen Armen gehalten. Er hatte mich geküsst. Obwohl wir standen, hatte er sich auf mich gelegt. Sein Penis war erigiert gewesen. Ich hatte es gefühlt. Alles passte zusammen.
Aber Frederic und ich waren kein Liebespaar. Er war ein Mann Gottes und ich ein Kind. Außerdem war er mein Freund. Bildete ich mir also alles nur ein?
Ich wollte, dass das alles nicht stimmte. Es musste der Alkohol gewesen sein. Nicht nur Frederic hatte getrunken. Ich hatte auch ein paar Gläser Grappa und Cognac-Cola intus. Vielleicht hatte ich mir alles eingebildet. Vielleicht hatte ich Halluzinationen? Unter Alkohol kann alles passieren.
Der seltsam fremde Geschmack in meinem Mund und die Erinnerung meines Körpers an Frederics Körper sagten mir, dass ich mir nichts eingebildet hatte. Aber was war das zwischen uns gewesen? War es schon »das«?
Ich musste mit jemandem reden. Sofort. Mit jemandem, der mir sagen würde, dass nichts passiert war. Der wissen würde, was stimmte.
Jemand müsste es sein, der immer vernünftig, ruhig, besonnen blieb. Jemand außerhalb der Clique. Jemand wie Franziska.
Franziska und ich kannten uns, seit wir im Kindergarten waren. Sie war Mitglied meiner Ballettgruppe. Wie ich hatte sie Unterricht an der örtlichen Musikschule, lernte aber Fagott, nicht Gitarre. Ihr Vater war Augenarzt, ihre Mutter Hausfrau. Sie und ihre beiden Schwestern, die mit uns in Assisi waren, waren Drillinge. Deshalb bewohnten sie ein gemeinsames Zimmer.
Befreundet waren Franziska und ich bis zu diesem Abend eigentlich nicht. Wir kannten uns, schienen aber nicht zusammenzupassen. Während ich anscheinend um jeden Preis auffallen wollte und von
Weitere Kostenlose Bücher