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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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meinen Eltern alles erlaubt bekam, gehörte sie zu den Kindern in meiner Klasse, die strenge Eltern hatten und eher nicht auffallen wollten.
    »Das verrückte Huhn und die graue Maus«, so wurden wir später genannt, ein zugleich komisches und doch fest verschworenes Gespann.

    Als ich in dieser Nacht an ihre Tür klopfte, öffnete Franziska mir, als hätte sie nur darauf gewartet. »Cora! Ist was passiert?«
    »Ich muss mit dir reden. Ich muss dir was sagen.«
    Ein Blick in mein Gesicht genügte, um ihr zu signalisieren, dass es um etwas Ernstes ging. Sie zögerte keinen Augenblick. Ohne ihre schlafenden Schwestern zu wecken, huschte sie zu mir heraus, schloss die Tür leise hinter sich und zog mich mit sich auf einen Balkon hinaus.
    Als ich ihr erzählte, was geschehen war, hörte sie im Grunde nur zu. Von jedem Detail meiner rätselhaften Beziehung zu Frederic berichtete ich, ließ nichts aus.
    Ich gestand, dass er der liebste Mensch für mich auf der Welt sei, aber doch nicht so.
    Franziska meinte, dass er wohl auch in mich verliebt sei, »aber halt wie ein Mann« und dass er wegen des vielen Alkohols die Selbstbeherrschung verloren habe.
    Also hatte ich mich nicht geirrt.
    Was nun?
    Franziska wusste es auch nicht. Sie verurteilte nichts und niemanden, kritisierte nicht einmal. Sie war einfach nur da, hielt mich im Arm und ließ mich reden.
    Erst heute, als wir anlässlich dieses Buches nochmals über Assisi und Frederic sprachen, gestand sie mir, dass sie damals hellwach im Bett gelegen habe und stundenlang nicht schlafen konnte. Sie habe genau gewusst, dass in jener Nacht etwas zwischen Frederic und mir passieren würde. Ganz durcheinander sei sie gewesen, weil es einesteils eine große Sünde und ein Tabu gewesen wäre, andernteils aber auch ein romantisches Abenteuer. »Ein zwölfjähriges Mädel und der Herr Vikar! Fast so aufregend wie im Roman >Dornenvögel<«.
    »Ich habe mich geehrt gefühlt, dass du dich ausgerechnet mir an vertraut hast«, meinte sie. »In meinen Augen bist du immer eines der besonderen Mädels in der Klasse gewesen, eine, die ihr Anderssein zelebrierte und vor nichts und niemand erschrocken war. Du warst so mutig und anders. Das fand ich toll. Immer wäre ich gern deine Freundin gewesen. Aber du hast mich nie wahrgenommen. Du warst in ganz anderen Cliquen, in denen ich nicht mithalten konnte. Meine Eltern hätten das ja nie erlaubt. Ich habe dich deshalb bewundert, oft beneidet und mir gewünscht, weniger graue Maus und mehr verrücktes Huhn zu sein.« —
    Wer Franziska kennt, weiß, dass sie ein ganz sanfter, in sich ruhender Mensch ist. Und sie gehörte nie zu denen, die das Herz auf der Zunge tragen. Es hat mich ungemein gerührt, wie sie über mich sprach. Gleichzeitig habe ich an uns Kinder von damals gedacht und hätte weinen können, dass wir nicht schon früher Freundinnen geworden waren.
    »Es hat mich stolz gemacht, dass du mir dein Geheimnis anvertraut hast. Niemals hätte ich dieses Vertrauen durch irgendeine unqualifizierte Bemerkung aufs Spiel setzen wollen«, sagte sie lächelnd, als wir über das Buch sprachen.
    »Ja, ich weiß.« Ich erwiderte ihr Lächeln. »Du warst wie mein zweites Ich. Ich konnte dir alles sagen, und du hast es immer betrachtet, als würdest du mit meinen Augen schauen.«

    Ich weiß nicht, was geschehen wäre, hätte Franziska mir in jener Nacht auf dem Balkon gestanden, dass sie Frederic von Anfang an äußerst »komisch« und seine Art, mit Mädchen zu reden und mit seinen Blicken zu durchbohren, unangenehm fand.
    Sicher hätte ich mich damals gegen eine solche Einschätzung gewehrt. Genauso wie gegen die Meinung einer ihrer beiden Drillingsschwestern, die Frederic als »supereklig« eingestuft hatten, so dass eine von ihnen ihm ihr Passfoto verweigert hatte, obwohl er darum gebeten hatte.
    Im Grunde wusste keines der drei Mädchen, was ich an »diesem schleimigen Vikar« fand. Aber glücklicherweise erzählte Franziska mir davon erst während der Gespräche zu diesem Buch, und es überraschte mich auch heute noch.
    Franziskas schweigende Solidarität, die bis heute anhält, legte sich wie Balsam auf mein aufgewühltes Gemüt. Wenn dieses besonnene, superanständige Mädchen trotz allem, was ich ihr erzählt hatte, zu mir hielt und mich nicht verurteilte, konnte nichts wirklich Böses geschehen sein.
    Ich hatte mich in einen Priester verliebt. Er hatte sich in mich verliebt. Er hatte zu viel Alkohol getrunken und ihm waren die Sicherungen

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