Er war ein Mann Gottes
Kloster zurückgehen wollten. Sie hatten nahe genug bei uns gesessen, um Frederics Annäherungen in der Heimlichkeit des Tisches beobachten zu können. Ich sah ihnen an, dass sie das alles unmöglich fanden und sehr aufgebracht waren. Unter ihnen befand sich auch Franziska, die in dieser Nacht zu meiner besten Freundin wurde.
Obwohl ich nichts Böses getan hatte, peinigte mich das schlechte Gewissen. Wenn ich beobachtet hätte, wie Frederic ein anderes Mädchen so anfasste wie mich, hätte ich mir meinen Teil gedacht. Ich wusste, warum die Mädchen empört waren und was sie von mir dachten.
Bereits am ersten Abend in Assisi hatte ich mit Frederic in einer Bar den ersten Cognac meines Lebens getrunken, während alle anderen schon schliefen. Natürlich hatten meine Zimmergenossinnen sich auch damals gefragt, warum ich so spät zu Bett käme und nachts allein mit Frederic »abhängen« würde.
Sie hatten albern gegrinst und gekichert, als ich ihnen zu erklären versuchte, dass ich mich in ihn verschossen hätte und deshalb die Zeit in Assisi nutzen wollte, um so oft wie möglich mit ihm zusammen zu sein. »Daheim geht es ja nicht.«
»Die Cora mal wieder!« Keine hatte mich ernst genommen.
Aber ganz sicher hatte es die große Runde gemacht, dass ich in unseren Vikar verknallt war.
Jetzt starrten sie mich an, keine sagte etwas, aber es stand ihnen wie auf der Stirn geschrieben, dass sie dachten: »Ach, so ist das!«
Es zuckte mir fast in den Füßen, mit ihnen mitzugehen, ihnen zu sagen: »Hey, so ist das nicht zwischen uns. Da ist nichts. Er ist mein Freund, versteht ihr. Ich bin ihm doch von Gott an vertraut.«
Stattdessen blieb ich wie angewachsen neben Frederic sitzen.
Die ganze Zeit hatte er nichts darüber gesagt, dass er sich mehr aus mir machte als aus den anderen. So, dass alle es sehen und hören konnten, hatte er mich abblitzen lassen, wenn ich ihn zur Seite nehmen und mit ihm reden wollte. Statt mir Zeit zu widmen, hatte er mit anderen lange, innige Gespräche geführt. Besonders einem der Mädchen, das später an Magersucht erkrankte und lange Zeit im Krankenhaus am Tropf liegen musste, hatte er sich immer wieder seelsorgerlich zugewandt.
Jetzt endlich hatte er mich vor allen anderen in den Arm genommen und mich gestreichelt. Vielleicht hätte er mich nicht ausgerechnet so und vor allen Leuten streicheln müssen. Aber schlimm war es trotzdem nicht. Er war bloß mit der Hand ausgerutscht. Er hatte mich in Wirklichkeit gar nicht so berühren wollen.
Wie so oft befand ich mich dank Frederic in einem Wirbel der Gefühle. Vom Kopf her schämte ich mich für ihn, weil er ein Mann Gottes war und sich nur wegen des Alkohols eine solche dumme Blöße gegeben hatte und alle sich nun das Maul über uns beide zerreißen würden. Zudem war ich sauer, weil er mich angefasst und vor allen anderen »Minis« bloßgestellt hatte.
Ich wäre jedoch nicht Cora o. gewesen, hätte ich es nicht auch genossen, einmal mehr »anders« zu sein und mich zu trauen, das zu tun, was niemand wagte. Immerhin hatte er mich gestreichelt und nicht Estefania. Alle hatten es gesehen, dass er es mit mir, dem verrückten Huhn, dem Klassenclown, mit der getan hatte, die immer um jedes bisschen Freundschaft kämpfen musste und trotzdem nur scheinbar dazugehörte.
Ich konnte nicht einfach aufstehen und ihn sitzen lassen. Er hatte sich und mich blamiert. Er war betrunken. Es war blöd von ihm. Und man musste sich schämen. Aber er war auch mein Freund. Ganz egal, was die anderen denken würden, ich hielt zu ihm.
Trotzig sah ich zu, wie die Mädchen das Lokal verließen. »Sollen sie doch. Was ist denn schon passiert?«, beruhigte ich meine Gewissensbisse. »Er hat zu viel getrunken. Er hat was Dummes gemacht. Na und? Das macht doch jeder mal.«
Doch als noch weitere Mädchen aufstanden und gehen wollten, erhob Frederic sich mit ihnen, ließ sich die Rechnung für alle geben, zahlte und meinte, es sei wirklich höchste Zeit nach Hause zu gehen.
Fragen der Nacht
Draußen war es frisch, aber noch immer angenehm warm und samtig. Die meisten Fenster waren mit Jalousien oder Klappläden verschlossen. Zwischen manchen Ritzen schimmerte es bläulich hervor. Dahinter saßen Leute und schauten fern.
Vereinzelte Bogenlampen und schummeriges Licht aus einigen Lokalen erhellten das Pflaster. Überall saßen noch Menschen vor den Restaurants. Kerzenschein flackerte über ihre Gesichter. Man trank und schwatzte. Zigarettenrauch schwebte zwischen
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