Er war ein Mann Gottes
durchgeknallt, so dass er seine Gefühle für mich nicht mehr verheimlichen konnte. Doch er hatte mir nichts getan. Außer diesen Küssen und der blöden Drängelei. Aber was waren schon Küsse und das andere?
»Eigentlich nichts«, meinte Franziska.
Natürlich durfte keiner wissen, was in jener Nacht passiert war. Garantiert würde alles aufgebauscht und am Ende würde es Herr Pfarrer Punktum erfahren und Frederic nicht unser neuer Pfarrer werden. Das durfte nicht sein. Und so schlimm war es ja auch nicht gewesen.
»Assisi«, grinste Franziska, »ist eben ein Abenteuer.«
Weisheiten aus dem Horoskop
Tags darauf ging Frederic mir bewusst aus dem Weg und ich verzweifelte fast. Liebte er mich oder liebte er mich nicht? War er nun mein Freund? War er es nicht? Hatte er mich zum Narren gehalten oder nicht? Lachte er insgeheim über mich, war er furchtbar wütend auf mich oder schrecklich enttäuscht von mir, weil ich Angst vor ihm hatte und vor ihm weggelaufen war? Wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich alles ganz falsch verstanden und ihn unversöhnlich beleidigt hatte?
Eine ganz andere Angst als in der vergangenen Nacht brach über mich herein. Ich kannte sie schon, diese schmerzhafte Befürchtung, alles sei aus.
»Ich glaub, er will nichts mehr von mir wissen.« Wie hatte ich es bisher nur ohne Franziska ausgehalten, der ich alles sagen konnte, was ich dachte und fühlte?
»Quatsch, er hat dich schließlich geküsst.« Ihre lakonische Bemerkung baute die Verlustangst sofort ein bisschen ab.
»Ich versteh trotzdem nicht, warum er so zu mir ist«, klagte ich. »Gestern so und jetzt wieder so. Ich werd noch wahnsinnig. Ich find das alles nur noch schrecklich, einfach nur schrecklich.«
In ihrer stillen, tiefgründigen Art schüttelte sie den Kopf. »Der macht doch bloß Show. Das geht jetzt gar nicht mehr anders. Denk mal drüber nach. Wenn der jetzt mit dir abhängen würde, würden alle gleich wieder an gestern und die doofe Grabscherei in der Pizzeria denken. Das geht doch nicht. Schließlich ist er Priester. Er muss auf seinen guten Ruf achten. Das ist alles. Darum benimmt er sich so.«
Natürlich, so war es. So musste, nur so konnte es sein. Ich atmete auf. Frederic zog eine Show ab. Er musste das machen, weil alle am Abend zuvor gesehen hatten, wie er mich berührt hatte. Es stimmte, was Franziska sagte. Ich war froh, dass sie meine Freundin geworden war.
»Es ist ganz gut, dass er sich mit Estefania abgibt und mit jedem anderen Mädel, außer mit dir.« Franziskas Brombeeraugen glänzten. Selbst wenn die Sonne direkt in sie hineinfiel, wurde die dunkle Iris nicht durchsichtiger wie bei anderen braunen Augen. »Komisch«, ging es mir flüchtig durch den Kopf, »dass man aus schwarzen Augen alles genauso klar sieht wie aus blauen.«
»Findest du nicht?«, fragte Franziska.
Ich nickte. Von mir aus sollten alle sehen, dass in der Pizzeria nichts dabei gewesen war, dass Frederic nur zu viel getrunken und alles schon vergessen hatte, ja, dass er sich gar nichts, absolut nichts aus mir machte. Zumindest nicht mehr aus mir als aus allen anderen. »Dann kommt wenigstens keiner mehr auf blöde Gedanken«, sagte ich, »und fragt sich, wieso ich letzte Nacht nicht im Bett war.«
Franziska richtete sich etwas auf, wie um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Da soll sich eine mal trauen. Schließlich hast du jetzt ja mich. Denen würde ich schon was verklickern.«
Ein bisschen verlegen kramte ich einen Abschnitt aus der aktuellen deutschsprachigen Zeitung aus der Hosentasche, die im Speisesaal für uns auslag. Ich hatte das Horoskop des Tages ausgerissen und strich es für Franziska glatt.
»Ein Älterer wird dir einen Wunsch erfüllen«, stand darin. Horoskope las meine Mutter immer als Erstes in der Zeitung. Ob sie glaubte, was darin stand, weiß ich nicht. Ich aber glaubte fest daran.
»Schau mal!«
Die paar Zeilen Text waren rasch überflogen. »Glaubst du das?« Franziska verzog den Mund.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Es könnte schon sein.« Franziska gab mir das Papier zurück. »Ich denke schon, dass er der Ältere ist, der dir deinen Herzenswunsch nach einem wahren Freund erfüllen wird. Er darf es dir halt nur nicht auf diese Weise zeigen.«
Erleichtert atmete ich auf. »Meinst du wirklich?« Sicherheitshalber fragte ich Franziska nochmals.
»Der ist verknallt in dich.« Sie nickte bedeutsam.
Ich weiß nicht, wie es sich genau entwickelte, doch das Erlebnis der
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