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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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ließ und sich stattdessen Estefania zuwandte? Ebenso wenig war mir klar, warum er mich dabei ständig im Auge behielt und es zu genießen schien, dass ich bei diesem Anblick den Kopf hängen ließ.
    Ich spürte nur, dass ich nicht wusste, wie ich mit meiner Verlustangst umgehen sollte, die mich jedes Mal überkam, wenn er mich ignorierte, mich wegen Nichtigkeiten rügte oder mit einer kleinen stichelnden Bemerkung Lachsalven der Umstehenden auf mich herabbeschwor. Sein unstetes, launenhaftes Benehmen war mir vollkommen unfasslich.

    Franziska fand Frederics Benehmen ebenfalls seltsam. Aber sie hatte eine Erklärung dafür. »Der ist ja so verschossen in deine Sommersprossen«, trällerte sie und brachte mich damit zum Lachen, obwohl mir oftmals zum Weinen war.
    Ich wusste nichts von dem Konflikt, in dem Frederic sich inmitten einer Gruppe junger Mädchen und Frauen befand, die ihn hemmungslos verehrten und bewunderten, ihn ständig umwarben und seine Nähe suchten. Ich konnte nicht wissen, wie sehr ihn das erregte und wie wenig er diese Gefühle unterdrücken konnte, die ihm wegen des Zölibats doch verboten waren.

    Estefania machte ihm am ungeniertesten Avancen. Sie war älter als ich, erfahrener. Ich denke, er wäre gern mit ihr losgezogen. Doch vermutlich hatte er Angst vor ihr, weil sie von ihm als Liebhaber etwas erwartet hätte, was er ihr entweder tatsächlich nicht bieten konnte oder befürchtete, ihr nicht bieten zu können. Frederic war in sexueller Hinsicht wohl nie wirklich über Selbstbefriedigung, Petting und Quickies unter Alkoholeinfluss hinausgekommen.
    Bei mir dagegen würde es kein Gelächter geben, wenn er sich mir ungeschickt nähern würde. Ich war sexuell ein unbeschriebenes Blatt, hatte keinerlei Erfahrungen. Ich würde ihn mit keinem anderen Mann vergleichen können, und ich würde es auch nicht wagen, über das, was er mit mir machen würde, zu reden. Ich war sein auserwähltes Opfer. Und es bereitete ihm einfach Spaß, sich an meinen Gefühlen zu weiden.
    Jeder traurige Blick, jede mühsam unterdrückte Träne, jede Spur von Eifersucht bewies ihm nur, wie sehr verliebt ich in ihn und wie nahe er bei mir dem Ziel seiner Wünsche war.

    Ich hingegen fand mich im Wirrwarr meiner Gefühle nicht zurecht. Die Wechselbäder, in die Frederics Launen mich stürzten, quälten mich. Immer wieder rief ich mir die Szenen ins Gedächtnis, die mir zeigten, dass er sich etwas aus mir machte: unseren Eierlikör-Abend, seine Musik, sein »Füßeln« unter dem Tisch, das Passfoto, der Cognac, zu dem er mich gleich am ersten Abend in Assisi eingeladen hatte, als die anderen schon zu Bett gegangen waren und er nur mit mir allein noch bis Mitternacht in der Bar saß, seine Blicke. All das schien so bedeutungsvoll. Doch wenn ich ihn mit Estefania beobachtete, zweifelte ich an allem, was ich zu verstehen geglaubt hatte.

    Wieder einmal und schmerzlicher denn je wurde mir bewusst, dass es in Assisi nicht anders als daheim laufen würde. Ob Frederic, Estefania, die anderen Ministranten und Ministrantinnen, immer verhielt es sich für mich ganz ähnlich wie in der Schule, wie mit der Anführerin in der Klasse. Ebenso wie bei ihr musste ich mich auch bei Frederic stets aufs Neue andienen. Alles musste ich von ihm hinnehmen, um ihn für mich zu gewinnen. Jederzeit konnte der kleinste Fehler ihn mir entreißen. Nur wenn er wollte, wurde ich in der Gruppe anerkannt. Und doch konnte ich trotz aller Anstrengungen nie sicher sein, dass er wirklich mein Freund war.

    Frederic war der erste Mensch, mit dem ich jemals über meine schreckliche innere Einsamkeit gesprochen habe. Er hatte mir versprochen, für mich da zu sein und mir zu helfen, von nun an dazuzugehören. Und jetzt ließ er mich genauso hängen wie alle.
    Warum?
    Dass Frederic etwas falsch machte, kam mir gar nicht in den Sinn. Er machte nichts falsch. Wenn jemand Fehler machte, dann ich. Nur, was waren meine Fehler? Ich wusste es nicht.

Vino Rosso, Grappa, Cognac

    An einem Abend hatten wir alle uns in einer Pizzeria verabredet. Der Nachmittag war zu unserer freien Verfügung gewesen. Viele von uns, auch ich, hatten ihn zu einem ausgiebigen Einkaufsbummel genutzt.
    Stolz führten wir unsere neuen Kleidungsstücke aus. In Erinnerung an meine heimlichen Alkoholgenüsse mit Frederic hatte ich mir ein sonnengelbes T-Shirt mit einem großen roten Glas darauf geleistet. Dazu trug ich eine passende sandfarbene Hose und nagelneue knallrote Ballerinas. Meine Haare

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