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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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vergangenen Nacht, das mich so erschreckt hatte, als es bedrängende, beängstigende Realität war, wandelte sich im Austausch mit Franziska auf einmal in eine naive, süße Romanze um. Warum sollte es mir nicht so ähnlich ergehen wie in »Dornenvögel«? Meine Tante Isidora hatte das Buch unter Anteilnahme der ganzen Familie, wenn nicht des halben Ortes gelesen. Sie fand alles so rührend, so echt. Daher wusste ich, dass der Roman-Kaplan sich auch in ein Kind verliebt hatte und das Kind sich in ihn. Jahrelang waren sie beste Freunde gewesen und hatten tolle Sachen erlebt und waren erst als Erwachsene ein Liebespaar geworden. So könnte es zwischen Frederic und mir doch auch geschehen.
    »Solche Romane sind ja nie ganz erfunden«, führte Franziska weise aus. »Meine Mutter sagt, ein Körnchen Wahrheit ist immer darin. Meistens ist es sogar eine wahre Geschichte, die dann einfach ausgeschmückt wird. Es gibt viele Priester, hat sie gesagt, die irgendwann geheiratet haben.«
    Frederic und ich heiraten? Der Gedanke war in meiner kindlichen Einbildung etwas sehr Süßes.
    Aber war ich auf eine Weise in ihn verliebt, dass ich ihn heiraten wollte? Warum aber wollte ich dann nicht, dass er mich so küsste und anfasste, wie er es gestern getan hatte? Warum empfand ich seinen Körper und seinen Atem und seine Hände an mir dann als so, so... ja, eklig? War das so, beim ersten Mal? War das normal?
    »Keine Ahnung«, meinte Franziska. Sie wusste es auch nicht.

    Frederic stand mit Estefania zusammen. »Heiraten«, dachte ich, »wir?« In »Dornenvögel« hatte die Frau den Kaplan nie geheiratet. Er war Priester geblieben und hatte sogar einen Sohn mit ihr bekommen, der wieder Priester wurde. Frederic würde auch Priester bleiben. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er jemals etwas anderes sein würde.
    Ich schaute ihn an, als ob ich ihn noch nie gesehen hätte. Wie er lachte. Wie er dabei den Kopf in den Nacken warf, seine superweißen Zähne zeigte, mit der Hand durch sein kurz gelocktes Haar fuhr. Die Hand verweilte einen Moment lang am Hinterkopf, dann ließ er sie langsam den Hals entlang zur Schulter gleiten, wo sie kurz auf den Fingerspitzen ruhte, bevor er sie mit einer raschen Geste in die Hosentasche steckte.
    Gestern hatte ich mich vor seinen Händen gefürchtet. Heute fand ich sie schön. Unzählige Male hatte ich diese Bewegung gesehen, wenn Frederic lachte. Noch öfter hatte ich sein Lachen gehört. Jetzt plötzlich kam es mir vor, als hörte ich es zum ersten Mal.
    »Bist du eifersüchtig?«, fragte Franziska leise.
    Ich schrak zusammen. Ich hatte sie fast vergessen.
    Sie wartete keine Antwort ab, hing sich bei mir ein, zog mich mit sich. »Komm, wir gehen zu den anderen.«
    Und plötzlich war alles ein Spiel.

    Die älteren Jungen aus der Ministrantengruppe winkten uns zu sich. »Hey, Cora, Rausch ausgeschlafen? Alles okay?«
    Spätestens seit gestern schien ich also zu ihnen, zu den Großen, zu gehören. Ich hatte mit ihnen getrunken, war mit ihnen um die Häuser gezogen. Es schmeichelte mir, dass ich von ihnen akzeptiert wurde, ich war stolz.
    Als einer von ihnen mir eine Zigarette anbot, schlug ich sie nicht aus. Was war schon dabei, mit den Jungen zu albern und zu schäkern, an der einen oder anderen Zigarette zu ziehen oder sich mal im Spaß umarmen und abknutschen zu lassen? Ich fand Küssen auf einmal gar nicht mehr so eklig wie in der vergangenen Nacht.
    »Der Kuss von ihm letzte Nacht war ja auch blau«, kicherte Franziska.
    Sie war echt witzig.
    Es sah zu komisch aus, wir beide mit der Zigarette zwischen den Fingern. Wenn wir inhalierten, mussten wir husten. Also pafften wir bloß, bliesen dicken weißen Rauch von uns und fühlten uns wichtig, als wir zum ersten Mal eine selbst verqualmte Kippe im Sand ausdrückten.
    »Willst du noch eine?« Ein anderer Junge hielt mir die geöffnete Schachtel hin.
    »Ja, klar.« Ich bediente mich.
    »Warte, ich geb’ dir Feuer.« Geschickt schirmte der Junge das Feuerzeug vor meinen Mund mit der Hand ab. Es klappte schon besser als beim ersten Versuch, die kleine rote Glutspitze in Gang zu setzen und beim ersten Einatmen nicht wie verrückt zu husten.
    »Du lernst es noch.« Der Junge grinste. Leider behielt er recht.

    »Er guckt dauernd rüber!«, flüsterte Franziska mir plötzlich ins Ohr.
    Ich schoss einen Blick über die Schulter zurück, direkt in Frederics Augen. Sie starrten mich an. Die Sonne glitzerte darin. Sein Mund war nur eine schmale Linie. Er

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