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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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Denken ab und träumte mich fort, weit fort. Ich wollte das nicht merken, nicht aushalten und hasste meinen Körper, der seltsame Gefühle entwickelte, die mich daran hinderten, nur in diesem Traum zu sein.
    Manchmal suchte ich krampfhaft nach einer Bezeichnung für das, was zwischen uns passierte, die ich laut hätte aussprechen können, ohne dabei auf der Stelle vom Blitzschlag getroffen zu werden. Dieser Versuch war ähnlich schwierig und gefährlich, wie Frederics Assisi-Fragen zu beantworten. Wie immer ich das, was wir taten, bezeichnen würde, es könnte falsch sein, ihn wütend machen und zeigen, dass ich alles missverstanden, ja, völlig verkehrte, sündige Gedanken gehabt hätte.

    Natürlich wusste ich als Einserschülerin im Fach Religion und begeisterte Ministrantin, dass eine Beichte mit so ungenauen Formulierungen nicht wirklich korrekt war. Aber Frederic wusste ja, was ich meinte. Da er die Macht hatte, uns beiden zu vergeben, durfte er uns lossprechen.
    Deshalb empfand ich es als Gnade, dass ich nie konkret und im Detail aussprechen musste, was geschehen war. Ich war Frederic dankbar dafür, dass er das nicht verlangte. Etwas nicht aussprechen zu müssen machte es nicht so schrecklich wahr.

    Ich fühlte das Gewicht dieses anonymen Fehlers zentnerschwer auf mir lasten. Deshalb schlug ich mir jedes Mal nach unseren Zärtlichkeiten im Bewusstsein meiner Sünde und in echter Reue vor dem Kreuz in Frederics Zimmer an meine Brust. »Mea culpa, mea maxima culpa.« «Meine Schuld, meine übergroße Schuld.«
    Ich beneidete Frederic um sein sofortiges Duschbad. Ohne es in Worte fassen zu können, kam es mir vor, als dürfe er sich dadurch die Sünde abwaschen, ehe uns vergeben wurde, ich aber nicht.
    Wenn ich abends zu Hause unter der Dusche stand und mich abseifte und einschäumte und mit der Bürste rieb, bis meine Haut rot wie ein gekochter Hummer aussah, hätte ich zu gern mein Innerstes nach außen gestülpt, um mich bis auf die Knochen und noch tiefer zu reinigen. Aber es half nichts. Obwohl ich ganz gewiss so rein gewaschen war, wie ein menschlicher Körper nach einem solchen Bad sein kann, glaubte ich bei einem Schnuppern an meinem Arm noch immer Frederics Schweiß an mir zu riechen.
    Ich fühlte mich am ganzen Leibe schmutzig. Oftmals sprang ich mitten in der Nacht nochmals aus dem Bett, um mich erneut unter den Duschstrahl zu stellen. Doch der gefühlte Geruch, der nur mir sichtbare Schmutz, die nur mir spürbaren Erinnerungen der Haut an fremde Berührungen blieben.
    Jedes Mal, wenn mein Vater mich etwa beim Gute-Nacht-Sagen umarmte oder mich auf dem Sofa beim Fernsehschau-en liebevoll an sich zog, hatte ich Angst, er könne an mir irgendeine Spur finden, die von meiner Sünde geblieben wäre. Oft hielt ich es in solchen Augenblicken nicht neben ihm aus und sprang auf, um ihm ungefragt einen Apfel zu schälen oder einen Kaffee zu kochen. Sein Arm um meine Schultern, seine Hand an meinem Hals, seine kurzen Bartstoppeln, wenn er seine Wange an meine drückte, all das schien mit Empfindungen einer anderen Umarmung besetzt.
    »Lass sie halt«, tröstete meine Mutter meinen Vater, wenn ich ihm wieder einmal ausgewichen war und mich nicht von ihm anfassen lassen wollte. »Wenn man in der Pubertät ist, will man das nicht mehr so. Sie wird jetzt halt eben eine Frau. Die sitzt dem Vater nicht mehr so gern auf dem Schoß wie ein kleines Maidle. Deshalb hat sie dich doch noch genauso lieb wie immer.«
    Ich hätte ihm weinend um den Hals fallen mögen, so drängte es mich zu ihm. Aber ich konnte es nicht. Nicht mit diesen Armen, nicht mit diesem Geruch an mir.

    Als ich besser verstand, was sich tatsächlich zwischen Frederic und mir ereignete, fühlte ich mich durch die auf dem Gebetsbänkchen kniend abgelegte Beichte gedemütigt. In meinem kindlichen Verständnis fühlte ich etwas Ungerechtes darin. Nicht ich hatte angefangen. Nicht ich hatte das gewollt. Aber ich war die Böse.
    Es kam mir vor wie beim Äpfelklauen, wenn der Bauer mich erwischte und bestrafte, die bloß zugeschaut hatte, und diejenigen laufen ließ, die mit den Äpfeln im Mund auf und davon waren.
    Niemals hatte Frederics »Ego te absolvo«, mit dem er mich im Namen Gottes von meiner Sünde lossprach und segnete, mich so befreit, dass ich mich wieder rein gefühlt hätte.

Vergeben heißt vergessen

    Als katholisch erzogenes Mädchen hatte ich gelernt, dass die priesterliche Lossprechung jede in der Beichte bekannte und bereute Sünde aus

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