Er war ein Mann Gottes
der Retrospektive ist mir, als hätten wir einander nicht einmal gegrüßt.
Es kam auch häufiger vor, dass Frederic mir die Tür nicht oder höchstens spaltbreit öffnete. Das war meist der Fall, wenn ich unangemeldet klingelte oder ohne zu läuten ins Pfarrhaus geschlüpft war.
Er steckte dann nur den Kopf zur Tür heraus, um mir kurz angebunden mitzuteilen: »Es geht jetzt nicht. Ich habe Besuch.« Dann schlug er mir die Tür vor der Nase zu.
Wie weggeworfen fühlte ich mich dabei und musste doch wiederkehren, weil ich mich so unendlich sehnte.
Einmal beobachtete ich ihn, wie er mit einem anderen Mädchen einen Abendspaziergang am Flusslauf entlang machte, der unweit unseres Ortes in einem Wasserfall aus einem Berghang sprudelt. Der Weg am naturbelassenen Ufer entlang ist wie geschaffen für Liebespaare. Ich glaube, alle Verliebten, die bei uns leben oder jemals als Touristen bei uns waren, sind ihn irgendwann gegangen und haben sich durch die lauschigen Wegschleifen geküsst.
Frederic ausgerechnet dort mit einem der Mädchen allein zu sehen, deren Foto in seinem Zimmer hing, stimmte mich schrecklich eifersüchtig. Wie oft hatte er mir versprochen, mit mir spazieren zu gehen. Nie hatte er es getan. Warum ging er jetzt mit ihr? Was hatte sie, was ich nicht hatte? Was war sie für ihn, was ich nicht war?
So weit wie ohne aufzufallen möglich, schlich ich ihnen nach. Genau so wie Frederic an der Seite dieses Mädchens ging, war er in Assisi neben mir gelaufen: Wie betrunken, schwankend, stieß er immer wieder wie zufällig gegen sie, lachend entschuldigte er sich dann, seine Hand zum Greifen nah neben ihrer. Gelegentlich blieb er stehen, um mit dem Arm über ihre Schulter hinweg auf irgendetwas zu deuten.
Wo würde er mit ihr stehen bleiben, seine Arme neben ihren Kopf stemmen und sie fragen: »Was bin ich für dich? Was willst du von mir?«
Weinend rannte ich in unsere Stammkneipe. Seit damals weiß ich, was es heißt, seinen Kummer zu ertränken.
Gut möglich, denke ich heute, dass Frederic sich auch an anderen Mädchen verging und nach einem solchen Übergriff sexuell ausgeglichen genug war, mich in Ruhe zu sich einladen zu können. So weit dachte ich damals aber nicht.
Stattdessen betete ich jedes Mal auf dem Weg zu Frederic, Gott möge ihm die Kraft geben, nicht zu viel Alkohol zu trinken und keine unkeuschen Dinge mit mir zu treiben. Das Kreuz in meiner Hosentasche hätte glühen müssen, könnten Gebete Feuer entzünden. Doch wie innig ich auch flehte, es kamen immer neue schwache Stunden.
Und niemand schöpfte Verdacht
Normalerweise war der Arbeitstag für unseren Vikar gegen neun Uhr abends beendet und seine Freizeit begann. Freilich war er als Priester immer irgendwie im Dienst, so dass er sich zwar zurückziehen, aber doch den Armen und Beladenen seine Tür jederzeit offen halten musste.
Der Vorteil war, dass man ganz offen und unverfänglich mit einem Beichtanliegen zu ihm kommen konnte. Der Nachteil bestand darin, dass auch andere ihn ungehindert aufsuchen konnten und er nie sicher sein konnte, ungestört zu bleiben.
Unter dem Deckmantel des dringenden Beichtgesprächs durfte ich das Pfarrhaus also jederzeit, auch ohne ausdrückliche Einladung, betreten. Es kam vor, dass mir nach zehn Uhr abends gelegentlich sogar Pfarrer Punktum öffnete und nicht einmal die Augenbrauen hochzog, obwohl er wusste, wie jung ich war.
Ebenso selbstverständlich war es aber, dass ich nicht sehr lange mit Frederic allein bleiben konnte. So konnte ich höchstens eine Stunde bleiben, so lange, wie ein Beichtgespräch eben dauerte. Es musste ja alles seine Ordnung haben, damit die Unordnung dahinter nicht auffiel.
Doch wenn wir uns an diese Regeln hielten, konnte Frederic mich, ohne aufzufallen, mehrmals am Tag zu sich einladen. Für Pfarrer Punktum und andere sah es dann so aus, als drücke mich wiederholt eine neue Sünde nieder. Es war legitim, so beladen abermals zu kommen, um meine Seele zu erleichtern und in Gottes Frieden Trost zu finden.
Wirklich verheerend war es, dass jeder Besuch bei Frederic einen Besuch in der Kneipe nach sich zog. Das erste Glas Eierlikör mit Frederic hatte mich gelehrt, wie süß er mich fand, wenn ich getrunken hatte. Folglich trank ich, ehe ich zu ihm ging. Zuerst war es nur eine Cola mit Schuss oder ein kleiner Likör gewesen. Nach und nach wurde es mehr, um so cool drauf zu sein, wie es Frederic gefiel.
Wenn er mich nach der Spätschicht zu sich einlud, führte mich
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