Er war ein Mann Gottes
Schlimmste.
Viel schwieriger fand ich das einzuordnen, was Frederic seit dem Abend im Wald mit mir tat. Solche Erfahrungen machten nicht alle Mädchen. Also waren sie nicht »normal«. Es geschah im Geheimen, keiner durfte es wissen. Also war es nicht erlaubt. Er berührte mich, wie ein Mann eine Frau berührt. Das war verboten und strafbar. Aber Gott verzieh es. Also war es nicht schlimm. Oder doch?
Ich erinnere mich, wie ich mich bei seinen Zärtlichkeiten immer wieder fragte: »Was ist das jetzt? Was macht er da an mir?«
Sex, das war das, was ich im Fernsehen oder im Kino in Hollywoodfilmen sah, wenn zwei Menschen sich gegenseitig in wilder Umarmung die Kleider vom Leibe rissen, sich leidenschaftlich küssten und irgendwann exstatisch ineinander versanken. Beim Anblick solcher Filmszenen guckte ich immer weg. Sie waren mir unangenehm, peinlich.
Was zwischen Frederic und mir geschah, war anders. Er umarmte und streichelte mich. Aber nicht wie verrückt. Er setzte mich auf seinen Schoß. Das erregte ihn. Dann tastete er sich langsam unter mein Oberteil, vergrub sein Gesicht bei mir und machte mir Komplimente. Irgendwann legte er mich auf sein Bett und zog mich vollends aus. Er küsste mich überall, doch seit jener ersten Nacht im Wald niemals mehr auf den Mund. Er fasste mich überall an und schob seine Finger in mich und legte sich auf mich und rieb sich an mir. Aber er entkleidete sich nicht. Und ich berührte ihn nie.
War das trotzdem Sex?
Frederic nannte es »Zärtlichkeiten«. »Wir tauschen doch bloß ein paar Zärtlichkeiten aus. Ich streichle dich doch nur.«
»Wenn man nicht in der Frau drin ist, ist das kein Sex. Dann sind das bloß Spielchen. Fummeln halt«, meinten die großen Jungen, wenn wir zusammen in unserer Stammkneipe saßen und wieder mal die Prahlerei mit den »Weibergeschichten« losging. »Ohne großes Rein und Raus, gibt es keinen kleinen Klaus.«
Ob es so ein »Rein und Raus« zwischen Frederic und mir gab, wusste ich nicht genau. Da ich die Pille nahm, konnte es ja keinen kleinen Klaus geben. Und weil ich jedes Mal schwer alkoholisiert war, wenn Frederic und ich Zärtlichkeiten austauschten, registrierte ich nicht, ob er mich mit den Fingern oder mit dem Penis penetrierte. Ich fühlte, dass er es tat. Aber ich sah es nicht, weil er zwar auf mir lag und sich auf mir bewegte, wie ich es aus den Filmen kannte und dabei »etwas« in mich schob und in mir bewegte und stöhnte und irgendwann so komisch zitterte. Doch nie entblößte er freimütig seinen Körper, geschweige denn sein Geschlechtsteil vor mir. Nie berührte ich seine nackte Haut, schon gar nicht dort. Wenn er ins Bad eilte, um sich in der Dusche zu reinigen, richtete er beim Aufstehen blitzschnell seine Hose. Ich selbst durfte mich nie in seinem Bad waschen.
Was immer es war, was Frederic mit mir tat, es machte mir Angst. Es war mir unheimlich und irgendwie viel zu groß. So sehr, dass ich stets wie ein Stein unter Frederic lag und die über mich gebrachte Lust verbeißen wollte. Ich hatte große Angst vor diesem Gefühl, das Frederic in mir erzeugte. Es kam wie eine rote Wolke voller Schmerz über mich, so dass ich fast schreien musste. Ich zitterte davon. Es ließ sich nicht abstellen.
Was für ein Gefühl war das? Es war irgendwie zu groß in mir. Es kam mir vor, als müsste ich sterben, wenn es losging. Ich wollte es nicht. Obwohl es sich auch irgendwie toll anfühlte. Wie ein Vulkanausbruch oder so. Ich schämte mich furchtbar, weil ich das Gefühl nicht vollständig schlecht fand.
Ich glaubte, dieses Gefühl sei so schmerzhaft, weil es eine Strafe für das wäre, was ich mit Frederic machte. Ich sah und hörte ja, dass er auch Schmerzen hatte, wenn er auf mir lag und so stöhnte und schwitzte. Ich war ihm dankbar, weil er mir wegen dieses Gefühls nicht böse war und mich beichten ließ, damit er mich von der Sünde befreien konnte.
Wenn das Gefühl vorbei war, wünschte ich mir jedes Mal, dass ich es nur geträumt hätte. Manchmal war dieser Wunsch so übermächtig, dass ich Zweifel an meiner Erinnerung hatte.
»Man kann doch so träumen, dass man denkt, es wäre in echt passiert, oder?«, fragte ich Franziska. Das meinte sie auch. Aber mein Kopf ließ sich nicht betrügen. Ich wusste, dass ich nicht geträumt hatte.
Stromausfall
Dass Franziska von Anfang an gewusst hatte, dass wir ein sexuelles Verhältnis hätten und Frederic seit unserem ersten Waldrendezvous den Beischlaf mit mir vollzog, ahnte ich
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