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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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wirkte weniger lebendig, und die alles verfolgenden Augen des Herrn waren nicht zu sehen. Wenn Frederic mich auf den Schoß nahm und zärtlich wurde, fühlte ich sonst immer diese vorwurfsvollen Blicke auf mir. Auch der zermarterte Jesus hing hinter den Übergardinen am Kreuz, als wäre er endlich einmal zur Ruhe gegangen.
    Wie von selbst sprachen Frederic und ich leiser, während er ein paar Akkorde auf seiner Gitarre zupfte und wir wie immer Kirschlikör und Cognac tranken und das Schwirren in meinem Kopf allmählich stärker wurde.
    Als er mich zu streicheln begann und so auf seinen Schoß zog, dass ich ihm mit geöffneten Beinen Auge in Auge gegenübersaß, fand ich es erstmals nicht so erschreckend. Vielleicht machte uns die Dunkelheit mutiger als sonst. Irgendwann fragte er mich, ob ich mir wünschte, dass auch er sich ausziehen und er mit mir schlafen solle.
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte gar nicht verstanden, dass er mich gefragt hatte, ob er mir beischlafen solle. »Schlafen, bei dir schlafen, das geht doch nicht. Wenn mich morgen früh einer sehen würde.«
    »Ja, okay.« Frederic insistierte nicht, obwohl er enttäuscht klang. Er gehorchte einfach und zog sich nicht aus. Stattdessen legte er sich wie üblich zu mir und auf mich und breitete sich in mir aus, ohne dass ich genau wusste, womit.

    Frederic hatte nichts anders gemacht als sonst. Trotzdem war es anders zwischen uns gewesen. Inniger vielleicht, denke ich. Beidseitiger. Ich hatte mich im milden Kerzenlicht mehr getraut und Frederics Haar gestreichelt und seinen Kopf nicht von mir wegzudrücken versucht, als er meine Brust liebkoste. Irgendwie hatte ich ihn anders, mehr gespürt.
    Seine Lust war mir schöner und bewusster gewesen. Sie hatte mich weniger erschreckt. Im Schlafzimmer brannte kein Licht. Nur der Abglanz der Kerze aus dem Wohnzimmer fiel zu uns herein. Alles, was geschah, wurde traumhafter, weicher. Frederics Gesicht, das immer so einen schiefen, verzerrten Ausdruck annahm, sobald er kam, blieb im Schatten. Es machte mir weniger Angst, seinem Mund nachzugeben.
    Als Frederic mich zum Höhepunkt führte, nahm ich das aufsteigende Gefühl erstmals als etwas zu mir Gehöriges wahr. Das immer schnellere Trommeln meines Herzschlags in den Ohren ließ mich nicht daran denken, dass ich sterben müsse und der aus mir herausbrechende Schmerz raste weniger quälend durch mich hindurch und über mich weg. Ich hätte Frederic in diesem Moment plötzlich gern ganz fest umarmt und nicht nur seine Kleidung auf meiner nackten Haut gefühlt.
    Erstmals hatte ich gedacht: »Ich liebe ihn.« Und »Er liebt mich.«
    Gesagt hat er es mir nie. Immer nannte er es Freundschaft. Aber an diesem Abend brauchte ich keine Worte dafür. Ich wusste es einfach.

    Franziska schaute mich wissend an. »Stimmt’s?«, fragte sie. »Es ist passiert? Ich hatte doch recht?«
    Ich konnte es nicht verraten. Noch immer nicht. Nach all den Jahren.

Ego te absolvo

    Als Kind schien es mir gut und richtig, dass Frederic sagte: »Wir haben einen Fehler gemacht. Wir müssen jetzt beichten und bereuen.« Er ließ mich bekennen: »Lieber Gott, ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid. Wir wollen es nicht wieder tun. Wir bitten dich, erhöre uns.«
    Es war ein Ritual, das mir seit meiner Kommunion in Fleisch und Blut übergegangen war. Meine ganze Familie beichtete regelmäßig. Es gehörte so dazu, dass mir das Absurde der Situation erst als Erwachsene bewusst wurde.
    Als Zwölfjährige fand ich Frederics Aufrichtigkeit vor Gott mutig und priesterlich großartig. Es kam mir nicht falsch vor, dass er bei dieser Beichte schwieg. Er stand ja mit gefalteten Händen neben mir. Für mich war das, als täten wir es gemeinsam. Nicht einmal die Worte kamen mir falsch vor. So, mit dieser Wir-Formel, beteten wir als Gemeinde ja immer. Es war mir vertraut.
    Einen solchen quasi anonymen Fehler konnte ich leicht gestehen. Mit einem Namen dafür wäre es unmöglich gewesen. Was hätte ich denn sagen sollen?
    Von einem Straftatbestand »sexueller Kindesmissbrauch« hatte ich keine Ahnung. Ich begriff ja lange nicht einmal, was mir widerfuhr.
    »Ich habe einen Priester geküsst. Ich habe mich von einem Priester unkeusch berühren lassen. Ich habe dabei unkeusche Gefühle gehabt.«
    Allein die Vorstellung, dass ich als Kind so etwas hätte gestehen sollen, ist für mich noch heute unmöglich. Ich wagte das nicht einmal so konkret zu denken.
    Immer wenn es geschah, schaltete ich mein

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