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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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als Kind nicht, obwohl ich ihr anvertraute, was mir widerfuhr.
    Erst jetzt, während der Gespräche, die wir im Zusammenhang mit der Entstehung dieses Buches miteinander führten, sprach sie es aus. Ich war vollkommen überrascht. »Wieso war dir das klar und mir nicht?«
    Sie lachte. »Weil unsere Mutter mich aufgeklärt hat. Und zwar mit allem Drum und Dran. Deine dich aber nicht.«

    Das stimmte. Meine Mutter hatte mich mit keiner Silbe aufgeklärt. Das Einzige, worüber wir in Bezug auf weibliche Körperlichkeit gesprochen hatten, war über die Periode, die ich mit knapp zwölf Jahren bekam, und über die Binden, die an einer bestimmten Stelle im Bad lägen, wenn ich sie denn brauchen würde.
    Sexuelle Aufklärung fand in der Schule statt. An besagter Banane und ein paar Tafelbildern über die inneren Organe von Frauen und Männern, deren fachlich richtige Bezeichnungen uns vermittelt wurden. Andere Details sprachen sich unter uns Heranwachsenden herum.
    Flüchtig überfiel mich die alte Traurigkeit wieder, weil ich einen weiteren Bereich entdeckt hatte, in dem meine Eltern mich alleingelassen hatten. Wie viel Leid wäre mir erspart geblieben, hätten sie mich ähnlich gut auf das Leben vorbereitet, wie dies Franziskas Eltern getan hatten.

    »Und woraus hast du geschlossen, dass da was zwischen Frederic und mir war?«, bohrte ich nach. »Wieso hast du mir nie gesagt, dass du meintest, da war was?«
    »Gemerkt, dass er verrückt nach dir ist, habe ich schon in Assisi. Das haben wir alle mitbekommen. Jeder wusste das. Und jeder hat darauf gewartet, dass es passiert. Das war irgendwie total spannend.«
    Ich dachte an die empörten Gesichter der Mädchen, die damals in Assisi nach Hause gegangen waren, als sie gesehen hatten, wie Frederic seine Hand über meinen Schenkel gleiten ließ. Damals hatte ich darunter gelitten, jetzt amüsierte es mich. »Habt ihr euch tatsächlich eingebildet, wir hätten was miteinander gehabt?«
    Franziska schaute mich über den Rand ihrer Teetasse an. »Gesagt hätte das ja nie einer. Aber gedacht haben es alle.« Sie nahm einen weiteren Schluck. »Weißt du noch? Ich hab dir damals ja gleich gesagt, dass ich nicht schlafen konnte, weil ich dauernd dachte, dass es an dem Abend passieren würde und wie das beim ersten Mal wohl so ist und dass du es jetzt als Erste von uns Mädels und ausgerechnet mit unserem Vikar erfahren würdest. Das war aufregend.«
    Ein verschmitztes Lächeln. »Wenn du ehrlich bist — wir waren doch alle irgendwie neugierig darauf.«
    Das stimmte. In Assisi hatten einige der »Minis« ihre ersten Küsse und mehr getauscht. Und neugierig, wie das mit Knutschen und Schmusen wohl wäre, ja, klar, das war auch ich gewesen.

    »Als du mir dann das mit dem Rendezvous im Wald erzählt hast«, fuhr Franziska fort, »habe ich angenommen, dass du mir nicht alles erzählst. Ich habe mir das so zurechtgelegt, dass du nur die Hälfte sagst, weil es verboten war und keiner etwas rauskriegen durfte.«
    Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Spätestens an dem Abend, als so lange Stromausfall war und ich bei völliger Dunkelheit draußen auf der Straße unter Frederics Fenster stand und auf dich wartete, weil ich dir versprochen hatte, dich nicht allein heimgehen zu lassen, spätestens an dem Abend war mir dann völlig klar, dass es jetzt gerade passierte.«
    »Und warum?«
    »Weil Stromausfall war.« Franziska kräuselte die Lippen wie immer, wenn sie einen hintergründigen Spruch loslässt. »Du weißt doch, nach einem langen Stromausfall werden mehr Babys als sonst geboren. Im Dunkeln ist halt eben gut munkeln.« Sie schwieg einen Moment und warf mir einen raschen Blick zu, als müsste sie immer noch prüfen, ob sie so offen mit mir reden könnte. »Außerdem dauerte es wahnsinnig lang, bis du wiederkamst. Und als du kamst, sahst du so aus, als wäre es passiert.«
    »Und wie sieht man da aus?«
    »Du kannst fragen!« Franziska lachte ein bisschen verlegen. »Wie man danach halt so aussieht. Die Haare zerzaust, die Wangen zu rot, der Mund zerknutscht, die Klamotten zerknautscht. Geliebt halt eben. So sieht man aus.«
    Jetzt lachte ich auch.

    Der Strom war in der ganzen Stadt ausgefallen. Als ich zu Frederic kam, warf ich Steinchen an sein Fenster, weil die Klingel nicht ging. In seinem Zimmer lief erstmals keine Musik. Er hatte nur eine Kerze angezündet. Es war angenehm schummrig. Die bedrückend dunklen Möbel und Stoffe fielen nicht mehr auf. Das blutige Herz-Jesu-Bild

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