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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Jäckel
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dass er mein Freund sei. Meiner, nicht ihrer.
    »Was willst du hier?« Frederic fuhr mich wütend an. »Du bist ja betrunken. Was tauchst du hier auf? Was nimmst du dir heraus? Das geht zu weit! Was sollen die anderen von dir denken? Verzieh dich. Hau ab, nach oben!«

    Was hatte ich erwartet? Dass er mich umarmen, sich freuen würde, mich zu sehen? Ich glaube, das wünschte ich mir wirklich. Seine Kälte traf mich trotz der Trunkenheit wie ein Blitz. Ich versuchte, mich zu erklären. Doch Frederic war außer sich. Und auf einmal schrie ich zurück.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich alles sagte. Franziska meinte, ich hätte mich um Kopf und Kragen geredet und um Frederics gleich mit. Sie habe so schnell wie möglich die Metallgitter geschlossen, mit denen die Heizungsschächte verkleidet waren, durch die die Heizwärme aus dem Ofen im Keller bis unter das Hüttendach aufstieg. Diese Schächte wirkten wie Sprechfunk. Man brauchte nur hineinzurufen, um sich von Stockwerk zu Stockwerk zu verständigen.
    Trotz der geschlossenen Gitter hörten die über uns im Gemeinschaftsraum Sitzenden aber wohl jedes Wort. Je beruhigender Frederic sich gab, desto wilder kreischte ich. Dann, urplötzlich, war Ruhe.
    Als sie jemanden aussandten, der vorsichtig nachschauen sollte, was denn in mich gefahren und mit mir los sei, fanden sie mich schluchzend in Frederics Armen liegen.
    »Sie ist betrunken.«
    Das sahen die anderen auch.

Fanal

    Wahrscheinlich werde ich nie erfahren, wer von den Hütten-mitbewohnem etwas über meinen Streit mit Frederic verriet. Vielleicht war es im Beichtgespräch geschehen. Jedenfalls schlug die Falle zu, als ich das nächste Mal ins Pfarrhaus kam.
    Anstatt mir persönlich seine Zimmertür zu öffnen, rief Frederic nur: »Herein!«
    Der Tag war trüb und regnerisch gewesen, die Dämmerung früher angebrochen. Normalerweise hätte das Licht im Zimmer brennen müssen, doch Frederic saß im Halbdunkel. Was sage ich, sitzen. Er hing vornübergeneigt auf einem Stuhl, die Arme baumelten rechts und links herunter. Eine Flasche Cognac in der Hand starrte er mich von unten herauf aus angsterfüllten, glasigen Augen an. »Du? Was willst du von mir?«
    Ich verstand ihn kaum. Er lallte. Er schien vollkommen betrunken.
    Unsicher trat ich näher. »Ich will dich besuchen. Du hast mich doch eingeladen. Ich sollte kommen. Da bin ich. Frederic, ist alles okay mit dir? Ist was passiert?«
    »Passiert?« Er lachte seltsam, erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl und kam mir entgegen. »Ich hab Sorgen, verstehst du? Ich häng mich noch auf.«
    Sofort fiel mir mein Tagebuch ein. Regte er sich deshalb etwa immer noch auf? Hatte er deshalb solche Angst? War er darum stockbetrunken?
    Ich hatte es mitgebracht. Er sollte es lesen. Von mir aus sollte er es behalten. Er sollte damit machen, was er wollte. Wenn er sich nur nicht aufhängte. In Panik riss ich das Buch aus meiner Schultasche und hielt es ihm hin. »Da, du kannst es ja haben. Ich hab das neulich doch gar nicht so gemeint. Hier! Nimm es! Hier!«
    Er schob meine Hand mitsamt dem Tagebuch weg und zog mich wild und ungestüm zu sich auf seinen Schoß. »Was soll ich mit dem Buch, wenn ich dich will?«
    Er weinte. Oh, Gott, er weinte!
    Ich hielt ihn umschlungen und streichelte sein Gesicht und ließ ihn zu mir und an mich und wehrte mich erst, als sein Griff grob wurde und mir weh tat und sein Atem in ein abgehacktes Keuchen überging und wir vom Stuhl fielen und ich irgendwann unter ihm auf dem Boden lag und er sich auf mich und in mich zwängte und drängte und mir weh tat und ich mich schreiend unter ihm wand und wand und nur weg wollte und nicht mehr loskam und nichts mehr fühlte als Angst, Angst, Angst wie niemals zuvor.

    Dieses grauenvolle Bild, wie ich in Angst und Schmerzen unter Frederic auf dem Fußboden liege, ist mir unvergesslich. Obwohl ich diese Szene in die tiefsten Tiefen meiner Seele verdrängt habe, kehrte sie tausendfach in meinen Träumen wieder.
    Das Kind in mir fragt noch immer: »Was war das? Was hat er mit mir gemacht?« Und die Erwachsene von heute erträgt es immer noch nicht, es Vergewaltigung zu nennen.

Verrat

    Mein nächster Erinnerungs-Spot setzt auf der Treppe im Pfarrhaus ein, als ich zerzaust und zerdrückt aus Frederics Zimmer floh und gegen Max Dobel stieß, den ich nicht bemerkt hatte. Max Dobel war unser neuer Kaplan. Er war kurz vor dem Hüttenwochenende, an dem Frederic mir mein Tagebuch entreißen wollte, in unserer

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