Er war ein Mann Gottes
Lust. Ich wusste damals nicht viel von körperlichen Reaktionen. Ich war ein dummes, romantisches Mädchen von dreizehn Jahren, und Sex war für mich ganz unbedingt auch Liebe.
»Wie«, so fragte ich mich wieder und wieder, »wie kann es sein, dass ich bei Frederic und bei Tim diese Schmetterlinge im Bauch habe, wenn sie zärtlich zu mir sind? Das hat man doch nur bei dem Einen, Richtigen?«
Ich verzweifelte an meinem »Verkehrtsein«, das ich nicht durchschaute und nicht richtigstellen konnte, wie sehr ich mich auch bemühte. Und ich spürte, dass ich irre werden müsste, wenn ich diese beiden Leben nicht immer säuberlich trennen und die beiden Männer darin nicht klar unterscheiden würde.
Vielleicht gibt es wirklich multiple Menschen. Vielleicht kann die Seele in verschiedene Persönlichkeitsanteile zersplittern. Bei mir geschah es nicht. Mir blieb bewusst, dass ich die schwersten Sünden beging, die es gab.
Ich war noch ein Kind und hatte Sex mit einem geweihten Mann Gottes. Das war verboten und Sünde und ein Geheimnis.
Ich hatte gleichzeitig Sex mit einem weltlichen Mann. Das wusste jeder.
Die Sünde ihm gegenüber war, dass ich ihn nicht liebte, sondern benutzte, um die verbotene Beziehung zu schützen, und dass ich ihm, einem Menschen, der mich aufrichtig liebte, vorspielte, ihn ebenso zu lieben.
Ich fand, das habe Tim nicht verdient. Ich sei es ihm zumindest schuldig, dass ich mit Frederic nicht auch noch über Tims Gefühle und unseren Sex tratschte.
Franziska meinte, inzwischen sei es bei mir ganz so wie in »Dornenvögel«. Ich sei in einen Priester verliebt und hätte gleichzeitig einen anderen Freund, den ich ebenfalls lieben würde.
Ich hasste es, wenn sie das sagte. Ich wollte keine Romanfigur sein. Alles war Wirklichkeit, ich dachte mir nichts aus. Vor allem aber wollte ich niemals so leben wie die Heldin in diesem Buch.
»Wie denn?«, fragte Franziska.
Ich zuckte mit den Schultern. Woher sollte ich das wissen?
Frederic reagierte wütend und enttäuscht, als ich ihm nichts mehr über mein zweites Sexleben berichtete. »Ich spioniere dir doch nicht nach!«, ereiferte er sich, weil ich ihm dies vorgeworfen hatte. »Ich will doch nur wissen, was du erlebst. Ich will an deinem Leben teilhaben. Es geht mich etwas an. Ich bin dein Beichtvater. Hast du das vergessen? Du hast mir sonst auch immer alles erzählt und keine Geheimnisse vor mir gehabt.«
»Diesmal ist es anders.« Ich versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl ich vor Angst und Aufregung darüber zitterte, dass ich mit ihm zu streiten wagte. »Ich will das nicht beichten.«
»Du musst.« Frederic schaute mich streng an. »Du bist noch ein Kind und hast Sex außerhalb der Ehe. Du weißt, dass das eine Sünde ist.«
Ich senkte den Kopf.
Frederics Stimme wurde sanft. »Du weißt auch, dass du mir in der Beichte alles sagen kannst. Du sagst das dann ja nicht mir, sondern Gott. Durch mich sprichst du direkt in Gottes Ohr. Der Herr, dein Gott, fragt dich danach, wenn ich dich frage. Ich bin nur der Kanal, durch den Gottes Geist zu dir kommt. Und du verweigerst dich? Verweigerst dich deinem Herrgott? Willst du das wirklich?«
Ich presste die Lippen zusammen und das Kinn auf die Brust, als Frederic es anzuheben versuchte. »Das ist unchristlich, Cora. Das ist eine große Sünde. Ich kann dich nicht lossprechen, wenn du nicht beichtest und alles bereust.«
Ich gab keine Antwort.
»Schau mal«, fuhr Frederic fort, »im Himmel gibt es keine Ehe mehr. Da lieben wir uns alle und gehören alle einer dem anderen, ohne Eifersucht oder Angst, weil wir eins sind in Gott. Ganz egal, mit wem wir Zusammenkommen, es ist dann immer Liebe. Reinste Liebe. So wie Gott das vor dem Sündenfall wollte. Was dich und mich verbindet, ist ein Stück von diesem Himmelsgefühl.«
Meine verstorbene Tante fiel mir ein, die mir vom Zölibat um des Himmels willen erzählt hatte und dass ein Priester den Menschen, die er liebte, ein Stück von seinem geschenkten Himmel abgeben dürfe. War es das, was Frederic meinte?
Er lachte, als ich es ihm sagte. »Deine Tante war eine kluge Frau.«
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich auslachte und verschloss mich noch mehr. »Wir sind aber noch nicht im Himmel.«
»Wofür du das beste Beispiel bist!«
An diesem Abend verließ ich ihn ohne Gottes Segen.
Ich breche mein Schweigen
Als wäre dieser erste Abend der erste Dominostein eines kunstvoll aufgebauten Parcours gewesen, brach unsere Freundschaft nach und nach
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