Er war ein Mann Gottes
hin zu mir sein, nicht zurück zum zölibatären Leben und keine Fortsetzung der sexuellen Übergriffe auf Kinder. In Momenten derartiger Selbstgespräche war ich sicher, mit Max Mutter zu werden und ihm ein Kind, unser Kind, zu schenken. Stärker als durch ein Kind würde ich ihm durch nichts beweisen können, wie vollkommen ich an seine Läuterung und an die wahre Unschuld des Mannes glaubte, als den Gott meinen Max erschaffen hatte.
Der Anfang vom Ende
Voller Ungeduld und Liebe hatte ich den Tag seiner Entlassung herbeigesehnt, doch als es soweit war und Max freikam, war er mir plötzlich und vollkommen überraschend ferner denn je.
Wie schon während der Haftzeit arbeitete er weiterhin bei der kirchlichen Beratungsstelle und bewohnte nun eine eigene kleine Wohnung, die der Kirche gehörte. Da unsere Wohnorte mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt waren und wir beide berufstätig waren, sahen wir uns einmal im Monat am Wochenende. Während der übrigen Zeit telefonierten wir und schrieben uns E-Mails.
Immer wieder aber geschah es, dass Max tagelang und ohne Vorankündigung nichts von sich hören ließ. Dann war er für mich unerreichbarer als während der Haft.
Damals konnte ich mir keinen Reim darauf machen und fühlte mich nicht viel anders als während meiner Zeit mit Frederic. Das Launenhafte, Unberechenbare, Irrlichterne in einer Freundschaft schien etwas typisch Priesterliches zu sein. Oder war es lediglich das von allen weltlichen Bindungen Abgelöste des Gottesmannes, der Gottes Ruf vernahm und ging, wohin er berufen wurde? Ich verstand es nicht. Aber war das überhaupt wichtig?
Max hatte mir versprochen, sich niemals von mir abzuwenden, ohne zuvor offen und ehrlich mit mir gesprochen zu haben. Ich sei aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken, hatte er beteuert. Er könne sich nicht mehr vorstellen, ohne mich zu sein. Um einfach zu verschwinden, habe er mich viel zu gern. »Vertrau mir!«
Die quietschgrüne Raupe an meinem Spiegel schien mir einen Kuss zuzuwerfen.
Was ich damals nicht wusste, war, dass Max, wenn ich nichts von ihm hörte, seine Zeit mit der anonymen »Bezugsperson« aus der Haftzeit verbrachte. Wie sich später zeigte, hatte er keinerlei Skrupel, sich mit ihr zu treffen und Spaß zu haben, während er mir die große Liebe vorgaukelte und Monate lang so tat, als bedürfe er lediglich einige Zeit der Ruhe und des Rückzugs, sogar vor mir.
Leider wusste ich davon auch noch nichts, als Max endlich leibhaftig aus dem Knast in mein Leben getreten war und sich unter Küssen und süßen Umarmungen in meinen Schmetterlingsprinzen verwandelt hatte. Ich war glücklich und verliebt, und da ich glaubte, dass Max förmlich von Sehnsucht verbrannt werden müsse, endlich mit mir als der Liebe seines Lebens zu schlafen, drängte ich mich ihm beinahe auf.
Als wir trotzdem nicht miteinander schliefen, sagte ich mir, dass es nur eine Frage des richtigen Zeitpunkts sei. Wir bewahrten uns sozusagen für den Tag der Tage oder die Nacht der Nächte auf, wenn wir zum ersten Mal im Urlaub ein gemeinsames Zimmer, ein gemeinsames Bett beziehen und uns zum ersten Mal vor aller Augen als Paar zeigen würden, ohne fürchten zu müssen, meine Eltern könnten uns erwischen oder irgendjemand würde in Max den Kinderschänder erkennen.
Trotzdem frustrierte es mich ungemein, dass Max sich während seiner >Besinnungstage< nicht einmal per E-Mail bei mir meldete. Jeden Abend wartete ich nach Feierabend stundenlang wie gebannt vor dem Computer, ob nicht doch noch eine Nachricht von ihm eintrudelte, und surfte derweil auf der Suche nach irgendjemandem, mit dem ich mich schriftlich austauschen und bei dem ich anonym meinen Kummer abladen könnte, durchs Internet.
Ein Kloster für Männer und Frauen
Eines Abends blieb ich in einem Chat-Forum Namens »Kummernetz« hängen. Kaum hatte ich mich unter dem Namen »Fidelis« angemeldet, chattete mich eine Userin mit dem Namen Schwester Reintraudis an und wollte wissen, wieso ich ausgerechnet diesen Namen gewählt hätte.
Ich eröffnete ihr, dass ich eine Nonne dieses Namens kennen würde. Sie gestand mir, eine Nonne zu sein. Da ich an so viel Zufall nicht glauben wollte, verlangte ich ihre Telefonnummer als Beweis und rief sie noch am gleichen Abend in ihrem Kloster an.
Die begeisterten Schilderungen von ihrem modernen Orden, in dem Nonnen zusammen mit Priestern und Waisenkindern lebten, kamen mir so unglaubwürdig vor, dass ich Schwester Reintraudis’
Weitere Kostenlose Bücher