Er war ein Mann Gottes
Seele. Von deinem Max für dich, liebe Cora. Sei ganz zart geküsst.«
Die »Scheiß-Männerwelt« ist Schuld
Ein paar Briefe später vertraute Max mir an, dass seine Mutter ihn bereits als Embryo zum Priester bestimmt hatte und wie abgrundtief er diese »Scheiß-Männerwelt« hasste, in der er fast sein ganzes Leben verbringen musste.
»Zuerst war es als Herz-Jesulein spielendes Kind, dann in einem priesterlichen Knabeninternat, danach als Mann Gottes in der Kirche und jetzt im Männer-Knast«, schrieb er. »Als Pfarrer war mir trotz dieser Männerdominanz leidlich wohl gewesen, weil ich nicht mehr so eng mit anderen Männern Zusammenleben musste. Wenn ich nicht wollte, musste ich bei euch im Pfarrhaus keinen sehen. Dafür hat mich des Abends oftmals die eisige Kälte eines schweigenden, liebeleeren Hauses grausam angefasst. Ich habe viel Schönes versäumt, meine liebe Cora. Vielleicht willst du mir eines Tages manches davon zeigen. Das wäre schön.«
Ich dachte an Frederic in unserem Pfarrhaus. Es stimmte wenn er nicht wollte, musste er nicht einmal Herrn Pfarrer Punktum darin begegnen. Wenn ich das Haus betrat, hatte es mich oft geschaudert, weil es so kalt und still und muffig darin war. Sicher hatte Frederic sich an manchen Abenden ebenso wie Max gefühlt und sich vor dem schweigenden, liebeleeren Haus gegraust und sich nach etwas Gesellschaft gesehnt. An solchen Abenden hatte er mich wohl zu sich bestellt.
»Das Schlimmste an der ganzen Knastzeit ist«, schrieb Max weiter, »dass ich nun schon wieder und so lange nur mit Kerlen leben muss. Es ist die Hölle. Schlimmer könnte es bei allen Teufeln nicht zugehen. Nicht einmal auf dem Klo gibt es eine Rückzugsmöglichkeit.«
Ich ließ den Brief sinken, weil mich der nächste Abschnitt erschreckte. »Ich glaube nicht, dass ich auf Dauer sagen werde: >Selber schuld<«, teilte er mir mit. »Wir kommen alle als unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Darauf schreibt deine ganze soziale Umwelt ihre Zeichen. Jeder ist irgendwie mitschuldig an dem Ergebnis. Manchmal gestehe ich mir ein, dass ich mir alles selbst eingebrockt habe. Das kann schon mal guttun. Aber meistens fühle ich, dass ich nicht mein Kreuz trage. Glaub mir, das mit der Schuldfrage ist gar nicht so einfach, wie es scheint.«
Ich wusste nicht, was oder ob ich darauf antworten sollte. Also versicherte ich Max einmal mehr, weil das in jedem Fall zutreffend war, dass er mich an seiner Seite habe. So sei er in der schrecklichen Männerwelt nicht wirklich allein.
Daraufhin fragte er mich erneut: »Weißt du eigentlich, auf Was du dich mit mir eingelassen hast? Nicht aus jeder fetten Raupe wird ein Prinz. Aber wenn du mich geküsst hast, bin ich der, der ich bin. Dann kann ich nicht mehr in meine Raupenhaut zurück. Und man ist für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat, heißt es im >Kleinen Prinzen.<«
Ich kannte das Büchlein von Saint-Exupéry nur vom Hörensagen. Jetzt musste ich es mir kaufen und sofort lesen. Vielleicht würde ich eine Antwort darin finden, die seine Frage beantworten würde, die mich ähnlich in die Enge trieb wie früher Frederics Assisi-Fragen: »Was bin ich für dich? Was willst du von mir?« Hatten sie diese Art Fragen im Priesterseminar auswendig gelernt? War das eine Art Lückentext?
Eine Geschichte fiel mir ein, die ich von einer Bekannten gehört hatte, die Taufpatin eines katholischen Kindes sein sollte. Als die ganze Taufgesellschaft mit dem festlich geschmückten Täufling zur Kirche hereinkam, trat ihnen der Pfarrer entgegen und fragte die zukünftige Patentante: »Was wollen Sie von der Kirche?«
Alle hatten einander erschrocken angeschaut. Keiner wusste die Antwort, so dass die Mutter des Täuflings ihren Mann fast zornig fragte: »Ja, hast du uns denn nicht zur Taufe angemeldet? Haben wir etwa keinen Termin?«
Der Pfarrer hatte sie ungerührt angeschaut, wie sie da so hochrot und aufgeregt stand. Und wahrscheinlich hätte er die Taufe tatsächlich nicht vollzogen, wäre nicht in letzter Sekunde einem Herrn aus der Taufgesellschaft eingefallen, dass man auf eine solch rituelle Frage mit einer rituellen Antwort entgegnet: »Wir wünschen die Taufe.«
Da zog ein freundliches Strahlen über das Gesicht des Pfarrers. Feierlich schritt er der Gesellschaft voraus zum Altar, und alles wurde gut.
»Wenn ich doch auch nur so ein Zauberwort hätte!«, wünschte ich mir und gab der quietschgrünen Raupe an meinem Spiegel einen Fingerkuss auf den
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