Er
ihm nicht recht. Seans Hemd empfand er als Einmischung. Wenn schon, hätte er dieses Hemd tragen müssen. Er war stattlich, so hatte Alison das einmal genannt, ganz früher und auch nur einmal. In einem weißen Hemd hätte er Lea gefallen, und das war ihm jetzt sehr wichtig. In seinem roten Pullover, den Alison ihm gekauft hatte, kurz bevor sie aufgehört hatte, ihn stattlich zu finden, kam er sich schäbig vor, abgetragen wie der Pullover selbst, an den Ellbogen war er durchgescheuert. Falls Lea sie bat, die Jacken abzulegen, musste er sich eine Ausrede einfallen lassen. »Und wie steht’s mit deinen Socken? Wenn da ein Loch drin ist, seh ich schwarz. Das mag sie nämlich gar nicht.«
»Du musst es ja wissen«, sagte Sean, der wie alle anderen noch immer glaubte, dass Angus solche Dinge über Lea tatsächlich wusste. »Ich trage das Hemd aber nicht wegen ihr. Warum auch? Wir werden sie gar nicht sehen.«
»Dieses Lied kenne ich«, sagte Angus. »Aber das kannst du alleine singen. Sie wird mir das Foto geben, du wirst schon sehen.« Er glaubte sich kein Wort.
»Vielleicht gibt sie dir das Foto. Das heißt aber gar nichts. Sie hat noch eine Kopie davon auf ihrem Computer. Oder sie hat’s im Internet gespeichert. Du denkst wie Alasdair, und das ist falsch. Ihr habt eine falsche Vorstellung davon, was ein Foto heutzutage ist. Alasdair denkt, dass es ein Foto nur einmal gibt, und dann gibt’s noch ein Negativ. Und wenn man beides verbrennt, ist das Foto weg. Aber das ist nicht mehr so. Du solltest das doch wissen, du hast doch selber eine Digitalkamera.«
Angus hatte damit Alison fotografiert, als sie mit herunterhängendem Bein nackt auf dem Sofa lag, im Sommer vor drei Jahren, nach einer Geburtstagsfeier mit viel Gin. Eine Zeit lang hatte er sich das Foto im Badezimmer angeschaut, auf dem Bildschirmchen der Kamera, und in Gedanken schlief er mit der Frau auf dem Foto, obwohl es dieselbe Alison war, mit der er seit Langem schon nicht mehr schlief.
»Hab ich«, sagte Angus. »Ja, ich hab eine. Aber wenn du vielleicht mal kapieren würdest, um was es geht. Es geht um meinen Ruf!« Den Grabstein zurechtrücken, kam ihm in den Sinn. Die Araberin schlurfte an ihm vorbei, berührte ihn am Ellbogen, diese Leute kannten keinen Abstand. »Wie viele Fotos sie hat, ist doch egal! Sie darf es nur diesen Spinnern nicht geben. Und das wird sie nicht tun, wenn ich ihr sage, dass ihr Vater im Sterben liegt. Und dass es sein letzter Wille ist, dass sie dieses verdammte Foto für sich behält, weil ihr Vater den Guga Cull liebt. So, wie wir alle den Cull lieben.« Angus spürte eine Hitze auf den Wangen, seine Worte belebten ihn, er hätte gerne in diesem Ton weitergesprochen, aber eigentlich war schon alles gesagt.
»Den Cull wird es immer geben«, sagte Sean. »Der geht nicht unter, bloß wegen diesem Foto. Und das wird dir auch niemand übel nehmen, das Foto. Es ist ja nicht deine Schuld. Das wissen alle.«
Alle wissen gar nichts, dachte Angus.
»Das sagst du«, sagte er. »Du bist ja nicht drauf. Aber ich bin drauf. Das ist mein Kopf. Mein Gesicht! Die werden das Foto überall zeigen. Vielleicht sogar im Fernsehen, und dann …« Ein beschmutztes Andenken belastete selbst die Toten. Es war gar nicht möglich, tot zu sein, solange die Leute einen verfluchten. Zunächst musste sich alles beruhigen, erst dann konnte man mit dem Kopf untertauchen und ein letztes Mal ausatmen. Der Tod war ein Ausatmen, und dazu brauchte man Ruhe. »Das solltest du mal kapieren«, sagte Angus.
»Wie du willst«, sagte Sean. Er gähnte und bekam dabei einen stumpfen Blick. »Wenn du sie davon überzeugen kannst, das Foto nicht zu veröffentlichen, umso besser. Aber ehrlich gesagt: Ich würde keine zehn Schilling drauf wetten, dass es dir gelingt. Ich gehe lieber auf Nummer sicher.«
»Und was soll das sein, Nummer sicher?«
Da drüben auf der anderen Straßenseite, die weiße Haustür, auf die ein Vandale mit blauer Farbe wirre Zeichen gesprayt hatte, das war für Angus Nummer sicher. Hausnummer 179, dort wohnte Lea Murray, die sich jetzt Panneck nannte. Und deswegen wartete er hier, denn irgendwann musste sie aus dieser Tür rauskommen, oder sie ging rein, und dann würde er rübergehen, weiter wollte er gar nicht denken. Einfach erst einmal rübergehen, der Rest kam dann von selbst. Sie hatten hier Telefonbücher, aber Lea stand nicht drin, sonst wäre alles einfacher gewesen. Oder vielleicht wäre nur das Schwierige einfacher gewesen. Er
Weitere Kostenlose Bücher