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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Araberin kratzte sich an der Wade, Sean gähnte in sein Buch, der Tod war billig wie Regen, in Hülle und Fülle vorhanden wie Schafscheiße, und niemand kratzte sich wegen dieser Million am Kopf. Es kam Angus plötzlich hochnäsig vor, sich wegen einer solchen Lappalie so viele Gedanken zu machen. Die Erde trug ihn nicht, er spürte es ja, sie knisterte wie Frühjahrseis, wenn er mit dem Fuß auftrat. Er hätte noch ein paar Jahre drauf rumgehen können, immer auf Pump und ohne Lust auf den nächsten Schritt. Besser war es, einfach stehen zu bleiben. Sein eigenes Gewicht würde den Rest erledigen. Er begriff, dass die Erde unter seinen Füßen nur deshalb noch nicht zerbrochen war, weil er sich davor wegschlich und sein Gewicht ständig verlagerte. Wenn er aber stehen bliebe, würde er durch die dünne Schicht brechen und versinken.
    Nur noch das Foto und dann stehen bleiben.
    »Einer muss es ja tun«, sagte Sean. Er ging zur Araberin und streckte zwei Finger in die Luft.
    Die weiße Haustür 179 öffnete sich. Angus hielt den Atem an, aber dann war es nur ein Mann, der im Wind seine Mütze festhielt und zwischen anderen Leuten auf der Straße verschwand. Angus kam in den Sinn, dass Lea das Foto vielleicht auf ihrem Computer gespeichert hatte, dass das aber keine Rolle spielen würde, wenn sie tot wäre. Wenn sie tot gewesen wäre, hätten sich alle Probleme aufgelöst wie ein Würfelzucker im Gin, Alison zuckerte ihren Gin immer, das war, als würde man einem Schwein einen Hut aufsetzen. Nicht allein zu sterben, das hatte was. Es war gemütlich. Angus fühlte sich geborgen bei dem Gedanken, zuerst Lea zu töten und dann sich. Er fragte sich, ob er vielleicht verrückt war, aber hätte er sich das dann gefragt? Und wenn schon: Da war noch die Sache mit der Strafe, die ihn unweigerlich treffen musste, und einen Verrückten zu bestrafen war Verschwendung.
    Mach dir nichts vor, dachte er.
    »Was denkst du?«, fragte er Sean, als der die Bierflaschen auf den Tisch stellte. »Wenn du mich so anschaust … ich meine, denkst du, dass ich verrückt bin?«
    Sean runzelte die Stirn. »Wieso sollte ich das denken?«
    »Alison zuckert ihren Gin«, sagte Angus. »Wusstest du das? Das ist, als würde man einem Schwein einen Hut aufsetzen.« Er war jetzt ganz beschwingt von der Vorstellung, nicht allein zu sterben.

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    14
    D IE FRAU VON DER HAUSVERWALTUNG knipste eine Malerlampe an, damit Jensen sich um zwei Uhr nachmittags die Wohnung ansehen konnte. Im Sommer sei es dafür schön kühl, sagte die Frau. Er sei übrigens nicht der einzige Bewerber.
    Sie wurde das Schattenloch einfach nicht los.
    Jensen hatte zu Wohnungen kein Verhältnis, ihm genügten eine Tür und ein Ort, wo er sein Bett hinstellen konnte, zwei Fenster, um Tag von Nacht unterscheiden zu können. Er sagte, er nehme sie. Ob er sich nicht noch Küche und Bad anschauen wolle?, fragte die Frau. Er musste nicht wählerisch sein. Marleen gab sich, wie er, mit einem Ort zufrieden, an dem ihr Bettchen stand. Fürs Licht gab es Parkanlagen. Jensen wiederholte, dass er die Wohnung haben wolle. Sie sei ja auch sehr groß, sagte die Frau. Zwei sehr geräumige Zimmer, nur eben dunkel, es war Marleen zuzumuten, vorläufig. Sobald sie aber älter war und Vergleiche ziehen konnte zwischen einer düsteren Hinterhofwohnung und der Villa in Yonkers, New York, in der sie mit Annick und dem Kerl lebte, würde er sich eine schönere Wohnung suchen müssen.
    Heute Morgen hatte Annick ihn angerufen, sagte, sie habe sich bei Marleen mit Windpocken angesteckt, ob er sie nicht nächste Woche holen könne. Sie habe überall Geschwüre, auch im Mund, es sei sehr schmerzhaft, sie wäre wirklich froh, wenn er Marleen holen würde, das Kind sei wieder gesund.
    »Und dein Mann?«, fragte Jensen.
    »Wir sind nicht verheiratet. Und ich habe keine Lust, darüber zu reden. Holst du Marleen oder nicht?«
    »Ende März, wie vereinbart.«
    »Er kann nicht. Er muss auf eine Dienstreise. Und mir geht es wirklich nicht gut. Unser Hausmädchen kümmert sich um Marleen, aber das ist keine optimale Lösung.«
    Sie hatte sich das Wort optimal angewöhnt.
    »Es geht nicht«, sagte er. Er war für Marleen noch nicht eingerichtet, hier in Berlin. Und in Brügge stand ihr Bettchen in einem Haus, das nicht mehr zu seinem Leben gehörte.
    »Dauernd beklagst du dich, dass du Marleen zu wenig siehst«, sagte Annick. »Und wenn ich dir entgegenkomme, lehnst du ab.«
    Sie sprach merkwürdig breit, wahrscheinlich

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