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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Männer sahen zum ersten Mal einen Hüftknochen von innen. Den Krebsknollen fanden sie mickrig, man bemerkte ihn überhaupt nur, weil Alasdair mit rotem Filzstift einen Kreis drum rum gezeichnet hatte. Jetzt, da Gottes Hand nach ihm griff, wollte Alasdair leicht werden, damit sich die Engel nicht verhoben, wenn sie ihn ins Paradies hochtrugen. »Sünde macht schwer«, sagte Alasdair. »Und Verzeihen macht leicht.« Er verbot den Männern zu trinken, er sagte: »Ich spendier euch hinterher eine Runde. Aber was ich zu sagen habe, soll jeder nüchtern hören.« Ihnen stieg trotzdem das Blut in den Kopf, als sie hörten, dass Lea mit auf den Cull kommen sollte. »Will mich mit ihr versöhnen«, knurrte Alasdair. »Ich reiche ihr die Hand. Ich verzeihe ihr. Bei Gott, das werde ich tun. Ich werde ihr verzeihen. Und das verlange ich auch von jedem von euch.« Die Blicke der Männer lasteten auf Angus, die besonders spitzen drangen unter seine Haut, draußen kreischte eine Möwe.
    Angus nickte, und Alasdair nickte auch. Alle nickten, fast hörte man die Halswirbel knacken.
    Sie kommt, und dann sagt sie’s, dachte Angus. Was ich euch übrigens noch sagen möchte: Angus war nicht der Vater des Kindes. Er hat nicht mal die Hose runtergekriegt. So?, würden die Leute sagen. Aber wenn er’s nicht war, vom wem hattest du dann den dicken Bauch?
    Das ist der Punkt, dachte Angus. Es war einer von denen hier im Pub, einer von denen, die Alasdairs Krebsfoto in der Hand hielten und die kein Wässerchen trüben konnten. Wenn Lea ihn verriet, musste sie auch Ross, Calum, Ian, irgendeinen hier verraten. Danach stand ihr aber der Sinn nicht. Sie hatte den Mistkerl damals nicht verraten und würde es auch jetzt nicht tun.
    Angus kriegte wieder ein bisschen Luft. Gut möglich, dass ihn die Lüge noch ein paar Jährchen länger warm zudeckte.
    »Dann ist das ja klar«, sagte Alasdair und gähnte. Angus fand es merkwürdig, dass einer, der bald starb, noch gähnte.
    Und dann kam das mit dem Buch. Alasdair hatte lange drüber nachgedacht, wie er die Versöhnung mit seiner Tochter mit etwas Nützlichem verbinden könnte. Bevor sie es sich absaugen oder wegschaben ließ, wollte sie Fotografin werden. »Wir machen ein Buch«, sagte Alasdair im Pub. »Ein Buch über den Guga Cull. Wir zeigen’s den Idioten vom Festland.«
    »Angus?«
    Angus, bist du noch bei uns?
    »Was?«, fragte Angus.
    Alison zerstückelte mit der Gabel das Spiegelei, sie machte lauter kleine Bissen draus, sie hätten in einen Mäusemund gepasst.
    »Schau es dir an«, sagte sie. »Das bist du. Das kann keiner mehr zusammensetzen.«
    »Angus? Was machst du denn da?«
    Eine Welle spritzte über die Reling, der Kutter lag schief. Ross hielt sich an einer über die Kisten gespannten Plane fest.
    »Ich glaub, ich hab geschlafen«, sagte Angus. Und geträumt, von Alison und von Alasdairs Röntgenbildern mit dem roten Kreis. Ein Regentropfen glitt sehr langsam an Angus vorbei, auf einer geraden Linie von einem Auge zum anderen. Er stammte noch aus dem Traum, denn Regentropfen verhielten sich nicht so.
    »Siehst du das?«, sagte Angus. Er zeigte auf den Tropfen.
    »Sauwetter«, sagte Ross. »Ich glaub, Haig ist seekrank. Grün wie ein Frosch. Das schreibt er im Buch bestimmt nicht!«
    Das Buch. Angus erinnerte sich. Lea war hier wegen des Buches.
    »Gute Idee«, sagte er. Etwas stimmte nicht mit dem Kutter. Angus horchte in den Sturm. Kein Motorengeräusch. Früher hätte ihn das beunruhigt, aber jetzt war es ohne Bedeutung. »Das mit dem Buch«, sagte er.
    »Publicity«, sagte Ross. »Das wird ihnen das Maul stopfen.« Er meinte die Spinner vom Festland, diese Bande von Vegetariern und Walfischstreichlern, die den Guga Cull fertigmachen wollten. Sie zeigten im Fernsehen Bilder von zerdrückten Gugas, die hatten ja keine Ahnung, wie schwierig es war, zwischen all den Nestern den Fuß nicht auf ein Küken zu setzen.
    »Das ist verdammt noch mal unsere Tradition«, sagte Angus. »Wir haben die Gugas vor tausend Jahren schon geerntet, und wir werden’s auch in tausend Jahren noch tun.«
    »Du nicht«, sagte Ross.
    »Du weißt genau, was ich meine!«, rief Angus. Es war umständlich, sich im Sturm zu streiten. Man musste sich festhalten, und der Wind schnappte einem die Worte von den Lippen weg.
    »War ein Witz!«, rief Ross.
    Diese Idioten!, dachte Angus. Ihre Anführerin Kate Branson war eine Schabracke mit Vorhang. Man sah hinter ihren struppigen Haaren nur gerade die Nase, wenn sie

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