Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
eigenen Furcht und seinem eigenen Schmerz, und wenn das Tier ins Nichts glitt, hatte er das Gefühl, selbst zu sterben. Es war eine schreckliche Erfahrung, die ihn in Panik versetzte. Wann immer er konnte, hatte er den Tieren in der alten Sprache Worte zugeflüstert, um sie zu beruhigen. Manchmal funktionierte es, manchmal nicht. Obwohl die Geschöpfe auf jeden Fall geschlachtet wurden und obwohl er die Energie brauchte, hasste er diese Methode, denn sie gab ihm das Gefühl, als sei er für ihren Tod verantwortlich. Es gab ihm das Gefühl, unrein zu sein.
Jetzt schien der Gürtel eine Spur schwerer zu sein als zuvor, beladen mit der Energie von so vielen Tieren. Selbst wenn die Diamanten nicht gewesen wären, hätte er den Gürtel als wertvoller angesehen als reines Gold, da die Kraft Dutzender Leben hineingeflossen war.
Als Wyrden aufhörte zu singen, fragte Arya: »Hast du ihn gefunden?«
»Hier entlang«, antwortete Wyrden und stand auf.
Jeod hatte recht! Eragon war erleichtert und zugleich aufs Neue beunruhigt.
Wyrden führte sie über eine Straße und über eine Reihe kleiner Hügel, dann hinunter in eine flache Senke, die in dem gewellten Land gut verborgen lag. »Der Eingang des Tunnels muss hier irgendwo sein«, erklärte der Elf und deutete auf die westliche Böschung der Senke.
Die Kräuterhexe ließ das Werlicht etwas heller leuchten, damit sie alle in seinem Schein suchen konnten. Dann durchkämmten Eragon, Arya und Wyrden das Gestrüpp an der Böschung und prüften mit Stöcken, ob es irgendwo in der Erde Hohlräume gab. Zweimal stieß sich Eragon das Schienbein an den Stümpfen umgestürzter Birken und sog vor Schmerz scharf die Luft ein. Er wünschte, er würde Beinschienen tragen, aber er hatte sie zurückgelassen, zusammen mit seinem Schild, weil sie in der Stadt zu viel Aufmerksamkeit erregen würden.
Von ihrem Ausgangspunkt aus suchten sie die Böschung zwanzig Minuten lang systematisch ab. Schließlich hörte Eragon ein metallisches Klirren, dann rief Arya leise: »Hier.«
Zusammen mit den anderen eilte er zu ihr hinüber, zu einer kleinen, überwucherten Höhle in der Flanke der Böschung. Arya zog den Busch beiseite, um einen mit Steinen eingefassten, fünf Fuß hohen und drei Fuß breiten Tunnel freizulegen. Ein rostiges Eisengitter versperrte den Eingang.
»Seht mal«, murmelte Arya und deutete auf den Boden.
Eragon bemerkte einen Pfad, der aus dem Tunnel führte. Selbst in dem unheimlichen roten Schein des Werlichts der Kräuterheilerin konnte Eragon erkennen, dass der Pfad seine Entstehung Füßen verdankte, die den Weg aus oder in den Tunnel gegangen waren. Eine oder mehrere Personen mussten den Tunnel benutzt haben, um Dras-Leona unbemerkt zu betreten oder zu verlassen.
»Wir sollten vorsichtig sein«, flüsterte Wyrden.
Angela gab ein leises Schnaufen von sich. »Wie wolltest du sonst vorgehen? Dein Kommen durch Fanfaren und Herolde ankündigen lassen? Also wirklich.«
Der Elf verzichtete auf eine Antwort, aber die Situation war ihm offensichtlich unangenehm.
Arya und Wyrden zogen das Gitter weg und traten vorsichtig in den Tunnel. Beide beschworen jetzt eigene Werlichter herauf. Die flammenlosen Kugeln schwebten über ihren Köpfen wie kleine rote Sonnen, verströmten aber nicht mehr Licht als eine Handvoll Kohlen.
Eragon blieb stehen und fragte Angela: »Warum behandeln die Elfen dich so respektvoll? Sie scheinen beinah Angst vor dir zu haben.«
»Verdiene ich denn keinen Respekt?«
Er zögerte. »Weißt du, irgendwann wirst du mir doch etwas von dir erzählen müssen.«
»Wie kommst du darauf?« Sie drängte sich an ihm vorbei, um den Tunnel zu betreten, und ihr Mantel flatterte wie die Schwingen eines Lethrblaka.
Eragon folgte ihr kopfschüttelnd.
Die relativ kleine Kräuterheilerin musste sich kaum bücken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen, aber Eragon ging gebeugt wie ein rheumatischer alter Mann, ebenso die beiden Elfen.
Eine feine Schicht festgetretener Erde bedeckte den Boden. In der Nähe des Eingangs lagen ein paar Stöcke und Steine herum und sogar eine abgestreifte Schlangenhaut, aber sonst war der Tunnel leer. Er roch nach feuchtem Stroh und Mottenflügeln.
Sie bewegten sich, so leise sie konnten, aber der Tunnel ließ jedes Geräusch widerhallen und verstärkte es noch. Jeder Stoß, jedes Kratzen und Schrammen füllte die Luft mit einer Vielzahl sich überlagernder Flüsterlaute, mit einem Murmeln und Seufzen, das ein Eigenleben zu haben
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