Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
werden und ihr sollt so rein ins Jenseits eintreten wie ein neugeborenes Kind.«
Dann erhoben der Hohepriester und seine Anhänger das Gesicht zur Decke und begannen einen seltsamen, eigenartigen Singsang, den zu verstehen Eragon Mühe hatte. Er fragte sich, ob er in Tosks Dialekt gesungen wurde. Bisweilen hörte er Worte, die ihm vorkamen wie die alte Sprache – verstümmelt und missbraucht, aber trotzdem Worte der alten Sprache.
Als die groteske Gemeinde zum Ende kam und erneut im Chor rief: »Wie Tosk geschrieben hat, so soll es sein«, schüttelten die drei Novizen in einer Ekstase religiöser Inbrunst die Glocken und das anschließende Geschrei schien laut genug, um die Decke einstürzen zu lassen.
Dann verließen die Novizen, immer noch die Glocken schüttelnd, den Raum. Die vierundzwanzig weniger bedeutenden Priester verschwanden als Nächste, als Letzter der Prozession ihr arm- und beinloser Herr, auf seiner Trage transportiert von den sechs eingeölten Sklaven.
Die Tür schloss sich mit einem Unheil verkündenden Knall hinter ihnen und Eragon hörte, wie auf der anderen Seite ein schwerer Riegel herabfiel.
Er wandte den Kopf zu Arya. In ihren Augen stand Verzweiflung und er erkannte, dass sie genauso wenig Ahnung hatte, wie sie fliehen konnten, wie er.
Er sah wieder nach oben und zog an der Kette, die ihn hielt, wobei er so viel Kraft einsetzte, wie er wagte. Die Wunden an seinen Handgelenken rissen erneut auf und besprenkelten ihn mit Blutstropfen.
Vor ihnen begann sich eins der Eier kaum merklich hin und her zu bewegen und ließ ein schwaches Klopfen hören, wie von einem winzigen Hammer.
Ein namenloses Grauen erfüllte Eragon. Von all den Todesarten, die er sich vorstellen konnte, war die Vorstellung, von einem Ra’zac bei lebendigem Leib gefressen zu werden, bei Weitem die schlimmste. Er zerrte mit erneuter Entschlossenheit an der Kette und biss auf seinen Knebel, um die Qual in seinen Armen besser aushalten zu können. Die Schmerzen ließen den Raum vor seinen Augen flackern.
Neben ihm wand und drehte sich Arya. Beide rangen sie in tödlichem Schweigen darum, sich zu befreien.
Und immer noch erklang das Klopfen aus der blauschwarzen Schale.
Es hat keinen Sinn, begriff Eragon. Die Kette würde nicht nachgeben. Sobald er diese Tatsache akzeptiert hatte, wurde ihm klar, dass er gleich noch viel schlimmere Schmerzen würde leiden müssen als die, die er bereits spürte. Die einzige Frage war, ob ihm seine Verletzungen aufgezwungen wurden oder ob er sie selbst wählte. Auf jeden Fall muss ich Arya retten.
Er musterte die Eisenbänder um seine Handgelenke. Wenn ich mir beide Daumen breche, könnte ich die Hände vielleicht herausziehen. Dann könnte ich zumindest kämpfen. Womöglich würde es mir gelingen, ein Stück von der Schale des Ra’zac-Eies zu packen und es als Messer zu benutzen. Mit etwas Scharfem konnte er auch seine Beine befreien, obwohl der Gedanke so beängstigend war, dass er ihn zunächst wegschob. Ich muss nur aus dem Steinring kriechen. Sobald er das geschafft hatte, würde er in der Lage sein, Magie zu wirken, und er konnte dem Schmerz und den Blutungen Einhalt gebieten. Was er erwog, würde nur wenige Minuten dauern, aber er wusste, dass es die längsten Minuten seines Lebens sein würden.
Er holte tief Luft, um sich bereit zu machen. Zuerst die linke Hand.
Bevor er anfangen konnte, vernahm er einen gedämpften Laut von Arya.
Er fuhr zu ihr herum und schrie stumm auf, als er die verstümmelten Finger ihrer rechten Hand sah. Ihre Haut war zu ihren Nägeln hinaufgeschoben wie ein Handschuh und unter dunkelroten Muskeln blitzte das Weiß von Knochen. Arya sackte zusammen und schien für einen Moment das Bewusstsein zu verlieren. Dann erholte sie sich und zog noch einmal an ihrem Arm. Eragon schrie mit ihr zusammen auf, als ihre Hand durch die Metallfessel glitt und Haut und Fleisch heruntergerissen wurden. Ihr Arm fiel zur Seite und verbarg so die Hand vor seinem Blick, obwohl er das Blut sehen konnte, das zu ihren Füßen auf den Boden spritzte.
Tränen trübten seine Sicht und er rief ihren Namen in seinen Knebel, aber sie schien ihn nicht zu hören.
Während sie sich wappnete, die Prozedur zu wiederholen, öffnete sich die Tür auf der rechten Seite des Altars und einer der in goldene Roben gekleideten Novizen schlüpfte in den Raum. Als Arya ihn sah, zögerte sie, obwohl Eragon wusste, dass sie ihre andere Hand bei der geringsten Andeutung von Gefahr aus der Fessel
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