Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
solange Ihr bereit seid, ein ganzes Volk auszulöschen, um Euren Schmerz über den Tod Eures ersten Drachen zu lindern. Ihr habt keine Antwort darauf, Eidbrecher? … Dann erzählt mir von den Drachen. Erklärt mir, warum Ihr so viele von ihnen erschlagen habt, dass ihre Art nun langsam, aber unausweichlich zum Aussterben verurteilt ist. Und zu guter Letzt erklärt mir, warum Ihr die Eldunarí geraubt habt und misshandelt.« In ihrer Wut gestattete sie sich diesen einen Ausrutscher. »Ihr habt sie gebrochen und an Euren Willen gekettet. Es ist nichts Gerechtes an dem, was Ihr tut, nur Eigennutz und ein nie endender Hunger nach Macht.«
Galbatorix betrachtete sie schweigend eine lange, unbehagliche Weile. Dann sah sie, wie er die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich denke, die Eisen sollten jetzt hinreichend heiß sein. Murtagh, wenn du so freundlich sein würdest …«
Sie ballte die Fäuste und grub die Nägel in ihre Haut, doch trotz ihrer Bemühungen, sie stillzuhalten, begannen ihre Muskeln zu zittern. Eines der Eisen kratzte über den Rand des Kohlebeckens, als Murtagh es herauszog. Er drehte sich zu ihr um. Sie konnte nicht anders, sie starrte die Spitze des glühenden Metalls an. Dann blickte sie in Murtaghs Augen und sie sah die Schuldgefühle und die Selbstverachtung darin, und tiefer Kummer überwältigte sie.
Was für Narren wir doch sind, dachte sie. Was für traurige, elende Narren.
Danach hatte sie keine Kraft mehr, zu denken, und so verfiel sie wieder in ihre immer gleichen Rituale, klammerte sich daran, um zu überleben, wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz.
Als Murtagh und Galbatorix gegangen waren, konnte sie vor Schmerzen nichts anderes tun, als stumpfsinnig die Muster an der Decke zu betrachten, während sie mit den Tränen kämpfte. Sie schwitzte und fröstelte zugleich, als hätte sie Fieber, und es war ihr unmöglich, sich länger als ein paar Sekunden auf eine Sache zu konzentrieren. Der Schmerz ihrer Brandwunden ließ nicht nach, wie es der Fall gewesen wäre, wenn man sie geschnitten oder geprügelt hätte. Stattdessen schien das Pochen ihrer Wunden mit der Zeit sogar noch schlimmer zu werden.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, ihre Atmung zu verlangsamen, während sie versuchte, sich zu beruhigen.
Als Galbatorix und Murtagh das erste Mal zu ihr gekommen waren, war sie viel mutiger gewesen. Sie hatte sie verflucht und verspottet und sie hatte getan, was sie konnte, um sie mit ihren Worten zu verletzen. Doch durch Murtagh hatte Galbatorix sie für ihre Unverschämtheiten leiden lassen und sie hatte schon bald den Geschmack an offener Rebellion verloren. Das Eisen machte sie furchtsam. Schon der Gedanke daran weckte in ihr den Wunsch, sich zu einem festen, kleinen Ball zusammenzurollen wie ein Igel. Jetzt, beim zweiten Mal, hatte sie so wenig wie möglich gesagt, bis zu ihrem letzten unklugen Ausbruch.
Sie hatte versucht, Galbatorix’ Behauptung zu überprüfen, dass weder er noch Murtagh sie belügen würde. Das hatte sie getan, indem sie ihnen Fragen zu geheimen Abläufen des Imperiums stellte, Tatsachen, über die ihre Spione sie informiert hatten, von denen Galbatorix jedoch wohl nicht annahm, dass sie sie kannte. Soweit sie es beurteilen konnte, hatten Galbatorix und Murtagh die Wahrheit gesagt, aber letztlich würde sie nichts glauben, was aus dem Mund des Königs kam, solange sie keine Möglichkeit hatte, seine Behauptungen zu überprüfen.
Was Murtagh betraf, war sie sich nicht so sicher. Wenn er mit dem König zusammen war, schenkte sie seinen Worten keinen Glauben, aber wenn er allein kam …
Mehrere Stunden nach ihrer ersten, qualvollen Audienz mit König Galbatorix – als ein leichter, unruhiger Schlaf sie endlich erlöst hatte – war Murtagh allein in die Halle der Wahrsagerin gekommen. Seine Augen waren ganz trüb gewesen und er hatte nach Alkohol gerochen. Er war neben den Steinblock getreten, auf dem sie lag, und hatte sie mit einem so seltsam gequälten Ausdruck angestarrt, dass sie nicht sicher gewesen war, was er tun würde.
Schließlich hatte er sich abgewandt, war zur nächsten Wand hinübergegangen und hatte sich daran zu Boden gleiten lassen. Dort hatte er gesessen, die Knie an die Brust gezogen, das Gesicht fast ganz von seinem langen, struppigen Haar verdeckt. Blut war aus der aufgerissenen Haut an den Knöcheln seiner rechten Hand gesickert. Nach schätzungsweise einigen Minuten hatte er in seine weinrote Jacke gegriffen – denn
Weitere Kostenlose Bücher