Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
zu und jedes Mal sprang er aus dem Weg. Schließlich hatte die Snalglí genug von dem Spiel. Sie zog sich sechs Schritt zurück und starrte ihn aus ihren faustgroßen Augäpfeln an.
»Wie fängst du jemals etwas, wenn du so langsam bist?«, spottete Eragon und streckte der Schnecke die Zunge heraus.
Die Snalglí zischte noch einmal, dann wandte sie sich ab und glitt in die Dunkelheit davon.
Eragon wartete ein paar Minuten, um sicher zu sein, dass sie fort war, bevor er sich wieder daranmachte, den Schutt wegzuräumen. »Vielleicht sollte ich mich einfach Schneckenbezwinger nennen«, murmelte er, während er ein Stück Säule über den Innenhof rollte. »Eragon Schattentöter, Bezwinger der Schnecken … Ich würde die Herzen der Männer mit Furcht erfüllen, wo immer ich erscheine.«
Es war tiefste Nacht, als er endlich das letzte Trümmerstück auf die Grasfläche warf, die den Platz umsäumte. Keuchend stand er da. Er fror, hatte Hunger und war müde, und die Schürfwunden an seinen Händen und Handgelenken brannten.
Er war in der nordöstlichen Ecke des Platzes angekommen. Im Norden lag eine riesige Halle, die während der Schlacht beinahe vollkommen zerstört worden war. Es standen nur noch ein Teil der schwarzen Außenmauer und eine einzige efeuumrankte Säule, wo einst der Eingang gewesen war.
Sehr lange starrte er die Säule an. Darüber leuchteten ein paar Sterne – rote, blaue und weiße – durch eine Lücke in den Wolken und glänzten wie geschliffene Diamanten. Eine seltsame Anziehung ging von ihnen aus, als bedeute ihr Erscheinen etwas, was er verstehen sollte.
Ohne lange darüber nachzudenken, was er tat, kletterte er über ein paar Steinbrocken zum Fuß der Säule und umfasste den dicksten Stamm des Efeus: Er war so dick wie sein Unterarm und mit Tausenden winziger Härchen bedeckt.
Er zerrte daran. Der Stamm hielt, also begann er daran hochzuklettern. Er hangelte sich an den Efeuranken die Säule empor, die dreihundert Fuß hoch sein musste, sich aber immer höher anfühlte, je weiter er sich vom Boden entfernte.
Er wusste, dass er unvorsichtig war, aber andererseits war ihm genau danach zumute.
Auf halber Höhe begannen die dünneren Ranken sich von dem Stein zu lösen, wenn er ihnen sein ganzes Gewicht zumutete. Von da an achtete er darauf, sich nur am Stamm und an einigen der dickeren Nebenranken festzuhalten.
Als er das obere Ende der Säule erreichte, zog er sich auf das Kapitell. Es war unbeschädigt geblieben, eine quadratische, flache Platte, die groß genug war, um sich daraufzusetzen und an jeder Seite noch einen Fuß Platz zu haben.
Eragon, der sich von der Anstrengung etwas zittrig fühlte, setzte sich mit untergeschlagenen Beinen hin und ließ die Hände mit der Handfläche nach oben auf den Knien liegen, damit Luft über seine aufgerissene Haut streichen konnte.
Unter ihm lag die zerstörte Stadt: ein Labyrinth aus Ruinen, durch das häufig seltsame, verlorene Rufe hallten. An einigen Stellen, wo es Teiche gab, konnte er die schwach glänzenden Lichter der Riesenfrösche leuchten sehen – wie Laternen, die man aus großer Ferne betrachtete.
Anglerfrösche, dachte er plötzlich in der alten Sprache. Das ist ihr Name. Anglerfrösche. Und er wusste, dass er recht hatte, denn das Wort schien zu passen wie ein Schlüssel in ein Schloss.
Dann richtete er den Blick zu den Sternen, die ihn zu seiner Kletterpartie angeregt hatten. Er verlangsamte seine Atmung und konzentrierte sich darauf, die Luft regelmäßig in seine Lungen hinein- und wieder aus ihnen herausströmen zu lassen. Die Kälte, der Hunger und die körperliche Erschöpfung schenkten ihm ein seltsames Gefühl der Klarheit. Er schien außerhalb seines Körpers zu treiben, als sei die Verbindung zwischen seinem Bewusstsein und seinem Fleisch dünner geworden, und auf einmal nahm er die Stadt und die Insel ringsumher ganz anders und viel deutlicher wahr. Er nahm mit allen Sinnen jede Bewegung des Windes wahr, jedes Geräusch und jeden Geruch, den der Wind bis zum Kapitell der Säule hinauftrug.
Dort oben dachte er über weitere Namen nach, und obwohl keiner ihn umfassend beschrieb, brachte sein Versagen ihn nicht mehr aus dem Gleichgewicht, denn die Klarheit, die er verspürte, reichte so tief, dass kein Rückschlag seine Ruhe hätte stören können.
Wie kann ich alles, was ich bin, in einige wenige Worte fassen?, überlegte er und sann weiter über diese Frage nach, während die Sterne über ihm ihre Bahnen
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