Eragon 04 - Das Erbe Der Macht
verwegener als der andere, bis er über eine Idee stolperte, die so einfach und gleichzeitig so tollkühn war, dass sie perfekt zu sein schien. Davon abgesehen entsprach sie – im Gegensatz zu den anderen – seinem Ego, denn er brauchte dazu nur eine einzige weitere Person: Carn.
»Befehlt den Männern, sich in ihren Zelten zu verstecken!«, rief er und setzte sich bereits in Bewegung. »Und sagt ihnen, sie sollen still sein. Ich will keinen Mucks von ihnen hören, außer wir werden angegriffen!«
Dann schob Roran seinen Hammer wieder in den Gürtel, trat ins erstbeste verlassene Zelt und griff sich eine dreckige Wolldecke von einem der Schlafplätze. Anschließend rannte er zu einer der Feuerstellen und schnappte sich einen breiten, baumstumpfartigen Holzklotz, den die Krieger als Hocker benutzt hatten.
Mit dem Holzklotz unter dem Arm und der Decke über der Schulter hetzte Roran aus dem Lager zu einem kleinen Hügel, vielleicht dreißig Schritte vor den Zelten.
»Jemand soll mir Würfelknochen und ein Horn Met holen!«, rief er. »Und bringt mir den Tisch, auf dem meine Karten liegen. Los, verflucht, los!«
Hinter sich vernahm er hektisches Hin- und Hergerenne und das Klirren von Rüstungen, als die Männer in ihre Zelte stürzten, um sich dort zu verstecken.
Kurz darauf breitete sich eine gespenstische Stille über dem Lager aus. Niemand war mehr zu sehen, bis auf die wenigen Männer, die die gewünschten Gegenstände zusammensuchten.
Roran verschwendete keine Zeit, zurückzuschauen. Auf dem Hügel stellte er den Holzklotz auf sein dickeres Ende und drehte ihn so lange hin und her, bis er nicht mehr wackelte. Dann setzte er sich darauf und sah den heranstürmenden Reitern entgegen.
Drei Minuten oder weniger blieben, bis sie eintreffen würden. Durch das Holz unter sich konnte er das Donnern der Hufe spüren – und das Beben wurde mit jeder Sekunde stärker.
»Wo bleiben die Würfelknochen und der Met?«, rief er, ohne die Reiter aus den Augen zu lassen.
Mit einer schnellen Handbewegung strich er sich den Bart glatt und zog sein Wams zurecht. Es machte ihm Angst, dass er kein Kettenhemd trug, aber sein nüchterner Verstand war zu dem Schluss gekommen, dass es seine Feinde stärker beeindrucken würde, ihn ohne Rüstung dasitzen zu sehen – als sei er völlig entspannt.
»Tut mir leid«, keuchte Carn atemlos, als er zusammen mit einem Mann, der den kleinen Klapptisch aus Rorans Zelt trug, zu Roran heraufgerannt kam. Sie platzierten den Tisch vor ihm und breiteten die Decke darauf aus. Dann reichte Carn Roran ein halb mit Met gefülltes Horn und einen Lederbecher mit den üblichen fünf Würfelknochen.
»Und jetzt verschwindet von hier«, befahl er. Carn wandte sich zum Gehen, aber Roran hielt ihn am Arm zurück. »Kannst du die Luft neben mir flimmern lassen, wie sie es an einem kalten Wintertag über dem Feuer tut?«
Carn kniff die Augen zusammen. »Schon möglich, aber wozu …«
»Tu es einfach, wenn du kannst. Und jetzt geh, verstecke dich!«
Während der hagere Magier zum Lager zurückhastete, schüttelte Roran die Würfelknochen im Becher, ließ sie auf den Tisch rollen und begann gegen sich selbst zu spielen. Er warf die Knochen in die Luft – zuerst einen, dann zwei, dann drei und so weiter – und fing sie auf dem Handrücken auf. Sein Vater hatte das oft getan, wenn er an langen Sommerabenden im Palancar-Tal in einem klapprigen alten Stuhl auf der Veranda ihres Hauses gesessen und seine Pfeife geraucht hatte. Manchmal hatte Roran mit ihm gespielt und dann für gewöhnlich verloren. Aber meist hatte sein Vater es vorgezogen, gegen sich selbst zu spielen.
Obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug und seine Hände schweißnass waren, bemühte Roran sich, möglichst ruhig zu wirken. Wenn seine List auch nur die geringste Chance auf Erfolg haben sollte, musste er unerschütterliche Zuversicht ausstrahlen, ganz gleich wie er sich wirklich fühlte.
Er hielt den Blick starr auf die Würfelknochen gerichtet und widerstand dem Drang, aufzuschauen, obwohl die Reiter immer näher kamen. Das Dröhnen der Hufe wurde so laut, dass Roran schon davon überzeugt war, sie wollten ihn einfach über den Haufen reiten.
Was für eine seltsame Art, zu sterben, dachte er und lächelte grimmig. Dann dachte er an Katrina und an ihr ungeborenes Kind und schöpfte Trost aus dem Wissen, dass ein Teil von ihm in dem Kind weiterleben würde. Es war keine Unsterblichkeit wie bei Eragon, aber es war auch eine Art
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