Erbarmen
heute Schluss machen; im Moment kämen sie sowieso nicht weiter. Ohne die Informationen aus dem Melderegister konnten sie Lars Henrik Jensens frühere Wohnorte nicht ausfindig machen. Sie mussten Geduld haben.
Als er zur Klinik für Wirbelsäulenverletzungen in Hornbæk fuhr, hörte er im Radio, dass die Presse Briefe erhalten hatte, aus denen hervorging, dass ein wütender Bürger den Computervirus in die öffentlichen Register eingeschleust hätte. Man rechnete damit, dass es sich um einen Menschen im öffentlichen Dienst handelte, an zentraler Stelle beschäftigt, der durch die Kommunalreform in Schwierigkeiten geraten war. Aber sicher war bisher nichts. Computerexperten versuchten zu erklären, wie es möglich war, so gut geschützte Daten freizulegen, und der Staatsminister ging so weit, den Schuldigen als einen »Banditen übelster Sorte« zu bezeichnen. Sicherheitsexperten im Bereich Datenübertragung seien bereits an der Arbeit. Alles würde schon bald wieder funktionieren, sagte er. Und den Schuldigen erwarte eine sehr harte Strafe.
Auf Hardys Nachttisch standen tatsächlich Blumen, aber selbst an den Tankstellen in den abgelegensten Winkeln des Landes hätte man einen schöneren Strauß bekommen. Hardy scherte es nicht; so wie die Schwestern ihn heute mit dem Gesicht zum Fenster platziert hatten, konnte er den Strauß eh nicht sehen.
»Ich soll dir von Bak einen Gruß ausrichten«, sagte Carl. Hardy sah ihn mit einem Blick an, den man verdrießlich nennen konnte, aber im Grunde traf es auch das nicht richtig. »Was hab ich mit diesem Blödmann zu tun?«
»Assad hat deinen Tipp an ihn weitergegeben, und jetzt haben sie jemanden festgenommen. Sie scheinen genug gegen ihn in der Hand zu haben.«
»Ich hab niemandem zu nichts Tipps gegeben.«
»Doch, du hast gesagt, Bak solle sich im Umfeld der Therapeuten und Ärzte von Annelise Kvist umsehen, der Hauptzeugin.«
»Von welchem Fall reden wir hier?«
»Von dem Fahrradmord, Hardy.«
Er runzelte die Stirn. »Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst, Carl. Du hast mich auf diesen idiotischen Fall Merete Lynggaard angesetzt, und diese Psychologentante redet die ganze Zeit von der Schießerei auf Amager. Das reicht. Ich weiß nichts von einem Fahrradmord.«
Jetzt war Hardy nicht der Einzige, der die Stirn runzelte. »Bist du dir sicher, dass Assad nicht mit dir über den Fahrradmord geredet hat? Hast du vielleicht Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, Hardy? Sag es nur, das ist okay.«
»Ach Carl, hör doch auf. Ich hab keine Lust, mir den Blödsinn anzuhören. Die Erinnerung ist mein ärgster Feind, kannst du das nicht begreifen?« Er schäumte förmlich vor Wut.
Carl hob abwehrend beide Hände. »Tut mir leid, Hardy. Dann war das halt eine Fehlinformation von Assad. Kann ja vorkommen.«
Aber so dachte er nicht, nicht wirklich.
So etwas konnte und durfte nicht vorkommen.
Kap 36 - 2007
Als er zum Frühstück ging, war seine Speiseröhre wund vom Sodbrennen, und seine Schultern waren schwer vor Müdigkeit. Weder Morten noch Jesper redeten ein Wort mit ihm, was für seinen Ziehsohn Standard war, aber im Fall von Morten ein Unheil verkündendes Zeichen.
Die Morgenzeitung lag an ihrem gewohnten Platz auf dem Tisch. Der Aufmacher auf der Titelseite war die Geschichte von Tage Baggesens freiwilligem Rücktritt aufgrund gesundheitlicher Probleme. Als Carl Seite sechs aufschlug, starrte ihm ein grobkörniges Foto von sich entgegen. Es war dasselbe, das >Gossip< am Vortag von ihm gebracht hatte, aber diesmal war daneben ein etwas unscharfes Foto von Uffe Lynggaard abgedruckt. Der Text war alles andere als schmeichelhaft.
»Der Leiter des Sonderdezernats Q, das bereits eingestellte Ermittlungen in >Fällen von besonderer Bedeutung< neu aufrollt, wie von der Dänemarkpartei ausdrücklich erwünscht, gibt in den letzten zwei Tagen in der Presse ein ausgesprochen unerfreuliches Bild ab«, stand dort.
Aus der >Gossip<-Geschichte hatten sie nicht viel gemacht.
Aber sie hatten für Interviews gesorgt, in denen die Mitarbeiter von Egely Carl besonders rauer Ermittlungsmethoden bezichtigten. Vor allem machte man ihn für Uffe Lynggaards Verschwinden verantwortlich. Besonders die Oberschwester zeigte sich empört und wütend. Ihr wurden Bemerkungen zugeschrieben wie Vertrauensmissbrauch, geistige Vergewaltigung und Manipulation. Der Artikel endete mit den Worten: »Bis Redaktionsschluss ist es uns nicht gelungen, einen Kommentar von Seiten der
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