Erbarmen
Krankenschwester, die wollte mich aus dem Zimmer werfen. Aber das war okay. Ich fand sie wirklich richtig hübsch, auf ihre Weise.« Er lächelte. »Ich glaube bestimmt, das hat sie mir angemerkt, deshalb ging sie wieder.«
Carl betrachtete ihn, irgendwie war er fassungslos. Der Wunsch, einfach nach Timbuktu abzuhauen, drohte in solchen Momenten übermächtig zu werden.
»Hardy! Assad, ich fragte nach Hardy! Was hat er gesagt? Hast du ihm aus der Akte vorgelesen?«
»Ja. Zwei und eine halbe Stunde. Dann ist er eingeschlafen.«
»Und?«
»Na ja, dann schlief er.«
Carl schickte eine Nachricht vom Gehirn an seine Hände, dass es trotz allem nicht legal sei, den Würgegriff anzuwenden.
Assad lächelte. »Aber ich komme schon wieder nach dorthin. Die Krankenschwester sagte sehr freundlich auf Wiedersehen, als ich ging.«
Carl schluckte. »Wenn du schon so gut mit den Weibsbildern umgehen kannst, dann könntest du doch bitte noch einmal nach oben gehen und die Sekretärinnen beschwatzen.«
Assad blühte sofort auf. Er machte kein Hehl daraus, dass ihm das besser gefiel, als mit grünen Gummihandschuhen herumzuwerkeln, und strahlte wie eine Primel.
Carl starrte einen Moment vor sich hin. Die ganze Zeit schon spukte ihm das Telefongespräch mit Karen Mortensen, der pensionierten Sachbearbeiterin aus Stevns, im Hinterkopf herum. Gab es vielleicht doch einen Tunnel in Uffes Bewusstsein? Würde der sich öffnen lassen? Lagen irgendwo dort drinnen verborgene Hinweise zu Merete Lynggaards Verschwinden, die nur darauf warteten, dass jemand auf den richtigen Knopf drückte? Und konnte man die Erinnerung an den Autounfall nutzen, um diesen Knopf zu finden? Das herauszufinden erschien Carl plötzlich immer dringender.
Er rief seinen Assistenten noch einmal zurück, als der schon fast das Zimmer verlassen hatte. »Assad, noch eines. Du musst mir alle Informationen über den Verkehrsunfall beschaffen, bei dem Meretes und Uffes Eltern ums Leben kamen. Alles. Samt und sonders alles. Fotos, den Bericht der Verkehrspolizei, Zeitungsausschnitte. Lass dir von den Sekretärinnen helfen. Und ich will das alles nicht erst gestern haben.«
»Nicht erst gestern?«
»Das heißt schnell, Assad. Es gibt einen Mann namens Uffe, und ich könnte mir denken, dass ich gern mit ihm ein bisschen über den Unfall reden will.«
»Mit ihm reden ?«, murmelte Assad und sah auf einmal sehr nachdenklich aus.
In der Mittagspause hatte er eine Verabredung, auf die er nur zu gern verzichtet hätte. Vigga hatte ihn gestern den ganzen Abend gequält, er solle doch kommen und sich die wunderbare Galerie anschauen. Sie lag in der Nansensgade, also wirklich keine üble Lage, kostete dafür aber auch eine ordentliche Stange Geld. Er würde dafür tief in die Tasche greifen müssen, und nichts auf der Welt konnte Carl zu Begeisterungsstürmen darüber hinreißen, dass so ein Kleckser mit Namen Hugin seine Sachen neben Viggas Höhlenmalereien ausstellen durfte.
Als Carl Mørck das Präsidium gerade verlassen wollte, begegnete er in der Eingangshalle Marcus Jacobsen, der, den Blick auf den Terrazzoboden mit den Swastika-Mustern geheftet, mit festem Schritt direkt auf ihn zukam. Der Chef der Mordkommission wusste, dass Carl ihn längst entdeckt hatte. Niemand im Präsidium hatte so einen Wieselblick wie Marcus Jacobsen. Man sah ihm das nicht an, aber ihm entging so gut wie nichts. Er war nicht von ungefähr ihr Chef.
»Ich habe gehört, du hast mich gelobt, Marcus. Was hast du den Journalisten denn erzählt? In wie vielen Fällen haben wir im Sonderdezernat Q denn schon eine heiße Spur? Und bei welchem Fall genau stehen wir kurz vor dem entscheidenden Durchbruch? Du ahnst ja nicht, wie froh ich bin, das zu hören. Richtig gute Neuigkeiten!«
Jacobsen sah ihm in die Augen. Das war wohl einer dieser Blicke' die dem Gegenüber Respekt einflößen sollten. Dabei wusste er ja selbst nur zu genau, dass er zu dick aufgetragen hatte. Und er wusste beileibe gut genug warum. Man musste schon stumpfsinnig sein, wenn man seinen Blick nicht verstand: Das Polizeikorps ging vor. Geld war das Mittel. Das Ziel würde der Chef der Mordkommission schon selbst definieren. Carl hatte verstanden und zuckte die Schultern.
»Na dann«, sagte Carl. »Ich muss zusehen, dass ich weiterkomme, wenn ich vor dem Mittagessen noch ein paar Fälle aufklären will.«
Als er an der Ausgangstür angekommen war, drehte er sich noch einmal um. »Ach, Marcus, um wie viele Gehaltsstufen
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