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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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gegangen war, konnte er sofort sehen. Der Blick, den sie ihm zuwarf, drückte vor allem Bekümmerung und Zweifel aus.
     
     Bille Antvorskov war gerade fünfzig geworden. Er war ein regelmäßiger Gast im Frühstücksfernsehen und in allen nur erdenklichen Talkrunden. Er galt als große Nummer auf dem Gebiet der Gentechnik - und daraus leitete man nur zu gern ab, dass er sich auch mit allem anderen zwischen Himmel und Erde auskannte. Aber der Mann machte sich vor der Kamera tatsächlich gut. Souverän und Respekt einflößend: braune Augen, markantes Kinn und eine Ausstrahlung, die das Jungenhafte und den diskreten Charme des Großbürgers in sich vereinte. Dazu die Tatsache, dass er sich in Rekordzeit ein Vermögen erwirtschaftet hatte, fast eines der größten im Lande. Nicht zuletzt entwickelte er hochriskante medizintechnische Produkte, die von großem Interesse für die Allgemeinheit waren - das alles brachte ihm die kritiklose Bewunderung und den Respekt der dänischen Fernsehzuschauer ein.
    Carl interessierte das alles nicht.
    Schon im Vorzimmer seines Büros wurde Carl bewusst, dass es sich bei Bille Antvorskov um einen vielbeschäftigten Unternehmer handelte, dessen Zeit knapp bemessen war. Vier Herren warteten dort; sie hatten die Aktentaschen zwischen die Beine geklemmt und hielten die Notebooks auf dem Schoß. Jeder Einzelne wirkte, als wollte er nichts mit den anderen zu tun haben. Alle schienen es wahnsinnig eilig zu haben, und alle fürchteten sich offenbar vor dem, was sie hinter der Tür erwartete.
    Die Sekretärin lächelte Carl professionell kühl an. Er hatte sich unverfroren zwischen alle anderen Termine gedrängt, und sie würde dafür sorgen, dass er das kein zweites Mal tat.
    Ihr Chef empfing ihn mit dem für ihn charakteristischen Lächeln. Er fragte höflich, ob er schon einmal so hoch oben in diesem Teil des Bürohauses am Hafen gewesen sei. Dann wies er mit beiden Armen zur Glasfassade, die sich von einer Wand zur anderen erstreckte und die Vielfalt der Welt in Form eines großartigen Mosaikbildes vorführte: Schiffe, Kais, Kräne, Himmel und Meer. Alles wetteiferte um die Gunst des Auges.
    So gut war die Aussicht aus Carls Büro eindeutig nicht.
    »Sie wollten mit mir über ein Treffen in Christiansborg am 20. Februar 2002 sprechen. Ich habe es hier«, sagte er und drückte ein paar Tasten seines Computers. »Ach, das ist ja witzig: ein Palindrom, das war ja ein Palindrom!«
    »Wie bitte?«
     
»Das Datum! Der 20.02.2002. Lässt sich von hinten wie von vorne lesen. Um 20.02 Uhr war ich bei meiner Exfrau, sehe ich. Wir feierten das mit einem Glas Champagner. >Once in a lifetime    »Sie wollen von mir wissen, worum es bei dem Termin mit Merete Lynggaard ging?«, fuhr er fort.
    »Das auch. Aber in erster Linie möchte ich etwas über Daniel Hale erfahren. Was für eine Rolle spielte er bei dem Treffen?«
    »Tja, komisch, dass Sie das erwähnen. Daniel Hale war einer unserer wichtigsten Entwickler im Bereich Labortechnik, und ohne sein Labor und seine guten Mitarbeiter hätte eine ganze Reihe unserer Projekte weit hinterhergehinkt. Aber in Bezug auf das Treffen spielte er gar keine Rolle.«
    »Er war also nicht an der Entwicklung der Projekte beteiligt?«
    »Nicht an ihrer politischen und finanziellen Entwicklung. Nur an der technischen Seite.«
    »Warum hat er dann an dem Termin teilgenommen?«
    Er biss sich leicht in die Wange, sehr sympathisch, fand Carl. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, rief er an und bat darum, dabei sein zu können. Die Begründung habe ich nicht mehr präsent, aber er plante größere Investitionen in moderne Geräte für sein Labor. Vermutlich war es ihm deshalb wichtig, bei der Diskussion der politischen Rahmenbedingungen auf dem neuesten Stand zu sein. Er war ein sehr engagierter Mann, vielleicht haben wir deshalb so gut zusammengearbeitet.«
    Carl stolperte sofort über das Eigenlob des Mannes. Manche Unternehmer machten eine Tugend daraus, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Zu der Sorte gehörte Bille Antvorskov nicht. »Was war, Ihrer Meinung nach, Daniel Hale für ein Mensch?«
    »Was für eine Art Mensch er war?« Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Zuverlässig und pflichtbewusst in seinem Job - aber als Mensch? Ich habe keine Ahnung.«
    »Sie hatten privat also keinen Kontakt?«
    Antvorskov brummte etwas, aber vielleicht sollte das auch ein Lachen sein.

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