Erbarmen
verschluckt. »Bist du verrückt geworden, Carl? Das ist Box 3965 aus dem Jahr 2000. Ich hab den vollständigen Karton, mit Haus und Balkon und allem.« Er deutete zum obersten Regal. Es stimmte. Dort oben stand das Haus in seinem vollen Plastikglanz.
»Hast du dann andere, die ich borgen kann? Nur bis morgen Abend.«
An dieser Stelle sah Morten plötzlich ganz verloren aus, als habe er kapituliert. Es hätte vermutlich kaum einen Unterschied gemacht, wenn Carl ihn gefragt hätte, ob er ihm mal kräftig in den Schritt treten könnte.
Kap 29 - 2007
Der Freitag würde hektisch werden. Assad hatte einen Vormittagstermin, ein Gespräch beim Ausländerservice, wie die Regierung den alten Aussortierungsmechanismus Ausländerverwaltung umgetauft hatte, um die Realitäten zu schönen, und in der Zwischenzeit hatte Carl alles Mögliche zu tun.
Am Vorabend, als Morten im Videoverleih Dienst tat, hatte er aus Morten Hollands Schatzkammer heimlich die kleine Playmobil-Familie entführt. Jetzt, auf dem Weg in die nordseeländische Einöde, lagen die Figürchen neben ihm auf dem Beifahrersitz und starrten ihn kalt und vorwurfsvoll an.
Das Haus in Skævinge, wo man Dennis Knudsen, den Unfallfahrer, an seinem eigenen Erbrochenen erstickt aufgefunden hatte, war keine Offenbarung an Schönheit, genauso wenig wie die anderen an der Straße.
Carl hatte erwartet, dass ihm ein handfester Arbeiter aus Landwirtschaft oder Straßenbau oder das weibliche Gegenstück dazu die Tür öffnete. Stattdessen stand er einer Enddreißigerin von so delikatem und unbestimmbarem Aussehen gegenüber, dass er nicht auf Anhieb entscheiden konnte, ob sie sich auf den Direktionsetagen bewegte oder eher als Eskort-Service in teueren Hotelbars.
Doch, er könne gern hereinkommen, und nein, beide Eltern seien leider verstorben.
Sie stellte sich als Camilla vor und brachte ihn in ein Wohnzimmer, in dem Weihnachtsteller, kleine Wandregale voller Nippes und Teppiche die Szene beherrschten.
»Wie alt waren Ihre Eltern, als sie starben?«, fragte er und versuchte den Rest der Hässlichkeit des Hauses zu ignorieren.
Sie merkte, woran er dachte. Alles in diesem Haus stammte aus einer anderen Zeit.
»Meine Mutter hat das Haus von ihrer Mutter geerbt, insofern sind das fast alles ihre Sachen«, sagte sie. Garantiert sah es bei ihr zu Hause nicht so aus. »Ich hab alles geerbt und bin nun gerade geschieden, muss also alles selbst instand setzen lassen, wenn ich mal Handwerker auftreiben kann. Insofern hatten Sie Glück, dass Sie mich hier angetroffen haben.«
Er nahm ein gerahmtes Foto vom besten Möbelstück des Raums, einem Sekretär mit Nussbaumfurnier. Darauf war die ganze Familie versammelt: Camilla, Dennis und die Eltern. Es war mindestens zehn Jahre alt, und die Eltern strahlten vor dem Silberhochzeitsspalier mit der Sonne um die Wette.
Glückwünsche zur Silberhochzeit, Grete und Hennig
stand dort. Camilla trug hautenge Jeans, die nichts der Phantasie überließen. Dennis hatte eine schwarze Lederweste an und eine Baseballkappe, auf der
Castrol Gil
stand.
Auf dem Kaminsims befanden sich noch mehr Fotos. Er fragte nach den Personen und entnahm ihren Antworten, dass die Familie keinen großen Bekanntenkreis hatte.
»Dennis war auf alles verrückt, was schnell fahren konnte«, sagte Camilla und nahm ihn mit in Dennis' ehemaliges Zimmer.
Zwei Lavalampen und ein Satz gewaltiger Lautsprecher erwarteten einen, und auch sonst stand der Raum in starkem Kontrast zum übrigen Haus. Die Möbel waren hell und passten zusammen. Der Kleiderschrank war neu und voller ansprechender Garderobe auf Kleiderbügeln. An den Wänden hingen jede Menge Diplome und Urkunden, schön gerahmt, und darüber, auf Birkenholzregalen bis unter die Decke, standen alle Pokale, die Dennis gewonnen hatte. Carl überschlug ihre Anzahl. Hundert waren es mit Sicherheit, es war überwältigend.
»Ja«, sagte sie. »Dennis gewann alles, in dessen Nähe er kam. Speedway auf dem Motorrad, Stockcar-Rennen, TraktorRallyes, überhaupt Rallyes und alle Klassen im Motorsport. Er war ein Naturtalent. Gut in fast allem, was ihn interessierte, auch im Schreiben und Rechnen und allem Möglichen sonst noch. Als er starb, war das sehr traurig.« Sie nickte vor sich hin. »Seinen Tod haben unsere Eltern nicht verwunden. Er war so ein guter Sohn und kleiner Bruder.«
Carl sah sie verständnisvoll an, aber er verstand nicht viel. Handelte es sich wirklich um denselben Dennis Knudsen, von dem Lis
Weitere Kostenlose Bücher