Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
aber nicht verraten, wen genau.«
»Danach brauchen Sie sie auch gar nicht zu fragen«, wies Drescher sie zurecht. »Das macht sie nur verrückt.« Der NCS , der National Clandestine Service, der die Auslandsspionage koordinierte und die eigentliche »Spionagearbeit« leistete, war bei der CIA für die Anwerbung ausländischer Verräter zuständig und schützte seine Quellen. Zwölf tote angeworbene russische Spione wegen Aldrich Ames waren eine mahnende Erinnerung, dass die Geheimdienstnetze schnell Risse bekamen. Doch die APLAA -Analystin als junge, ehrgeizige Anfängerin wusste noch nicht, dass man am besten keine Fragen stellte.
»In den örtlichen Nachrichten oder im Internet steht nichts«, antwortete APLAA , ohne auf die Rüge einzugehen. »Taipeh hat möglicherweise eine Nachrichtensperre verhängt. Nichts, was darauf hindeutet, dass ein chinesischer Spion chemische Waffen auf die Insel geschmuggelt hat, um die Einheimischen zu erschrecken.«
»Sie dürfen nicht von einer chemischen Waffe ausgehen«, korrigierte Drescher sie. »Es könnte sich um ein Leck in einem Gasrohr handeln, oder Umstehende haben vielleicht in Windrichtung einer Tränengasbombe gestanden. Berichten Sie einfach nur die Fakten und sparen Sie sich die Analyse.« Unter dem Glas auf seinem Schreibtisch klemmte eine Karte mit den Weltzeitzonen. Laut Staatstelegramm waren die Verhaftungen um 18:30 Uhr Ostküstenzeit erfolgt, also vor sechs Stunden. Bei einer Zeitverschiebung von zwölf Stunden hieß das, der Vorfall hatte sich in Peking oder Taipeh um 6:30 Uhr morgens kurz vor Tagesanbruch ereignet. Drescher sah auf den Fernsehbildschirm. Die Brünette auf CNN sprach eine Minute über das unbedeutende Absinken des Dow Jones, um in dem langweiligen Nachrichtenblock Zeit zu schinden. Die Blondine auf BBC ließ sich über die Arbeiterproteste in Paris aus, und auch die anderen Sender hatten nur ähnlich belanglose Themen zu bieten. »Bis in die Auslandsnachrichten hat es der Vorfall noch nicht geschafft«, stellte er fest. »Hat das Außenministerium was?«
»Dort hat man den Bericht noch gar nicht gesehen.«
Drescher lehnte sich zurück, las die beiden Telegramme noch einmal und gestattete sich schließlich ein Lächeln. Jetzt war er wach. Adrenalin war die beste Stimulanz, besser als Kaffee. Taiwan hatte zwölf Menschen verhaftet. Von mehreren war bekannt, dass sie für das chinesische Ministerium für Staatssicherheit arbeiteten, und einige der angreifenden Polizisten waren verletzt worden. David hatte Goliath mit einem spitzen Stock ins Auge gestochen, und Goliath schien sich gewehrt zu haben.
Drescher griff zum Telefon und drückte die Kurzwahltaste. Die CIA -Direktorin nahm bei sich zu Hause beim dritten Klingeln den Hörer ab. »Hier ist die Einsatzzentrale«, meldete sich Drescher. »Ich stelle auf abhörsichere Kommunikation um.« Mit diesen Worten drückte er an seinem Telefon eine Taste, um den Anruf zu verschlüsseln.
CIA -Zentrale
Eingang Route 123
Kyra Stryker bog von der Route 123 auf das Gelände der Zentrale ab und fuhr mit ihrem roten Ford Ranger langsam auf das Wachhäuschen aus Glas und Stahl zu, das mit dem Besucherkontrollgebäude rechts davon übereinen zugigen, bogenförmigen Durchgang verbunden war. Kyra tat es bei der eisigen Luft ungern, öffnete aber schließlich doch das Seitenfenster und hielt ihre Dienstmarke nach draußen. Ein zweiter Wachmann stand auf der anderen Seite der zweispurigen Straße und umklammerte eine M-16. Ein dritter hatte mehr Glück – er saß im beheizten Häuschen, eine Mossberg Kaliber 12 griffbereit neben sich. Mit Sicherheit hielten sich im Gebäude noch mehr Wachleute auf, alle mit 9-mm-Glocks in ihren Halftern und größeren Waffen in Reichweite. Kyra war an dieser Einfahrt im Moment die Einzige, weswegen sich die Wachleute voll und ganz um sie kümmern konnten. Kurz hatte sie ernsthaft überlegt, einfach durch den Kontrollpunkt zu fahren, und trat nur auf die Bremse, weil ihr klar wurde, dass die Wachen das Feuer nicht eröffnen, sondern nur die hydraulischen Straßensperren aktivieren würden, durch die ihr Fahrzeug geschrottet würde. Dann würde man sie verhaften, den ganzen Tag in der Arrestzelle sitzen lassen und fragen, warum eine CIA -Mitarbeiterin mit gültiger blauer Dienstmarke so etwas Dummes tun konnte. Nicht zur Arbeit gehen zu wollen wäre als Entschuldigung wohl kaum durchgegangen.
Der Wachmann bedeutete ihr mit einer gelangweilten Geste weiterzufahren. Kyra zog
Weitere Kostenlose Bücher