Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
Computertechnologien aus dem Westen zu erfahren, dass Pioneer seine Vorgesetzten nicht lange überreden musste. Auf einer Reise nach Tokio entwischte er seinen Begleitern und Übersetzern während eines Vortrags, der von Tausenden von Programmierern besucht wurde, und gelangte unerkannt vom Hotel zur US-Botschaft, wo er der CIA seine Dienste anbot. Natürlich waren sie misstrauisch. »Laufkundschaft«, Personen, die sich aus Gewissensgründen freiwillig als Spione meldeten, waren zwar die besten, doch oft waren sie Doppelagenten, die wie Köder an einem Haken nach draußen gehalten wurden. Der Stationsleiter allerdings war ein mutiger Mensch und bereit, das Wagnis einzugehen. Er brauchte mehr als eine Stunde, um jemanden zu finden, der Chinesisch sprach, doch dann reichten ihm weniger als zehn Minuten, um die Wut dieses jungen Chinesen als echt einzustufen. Der Stationsleiter selbst hatte sich im Jahr zuvor von seiner ehebrecherischen Frau scheiden lassen. Er wusste, dass sich echter seelischer Schmerz nur schwer vortäuschen ließ.
Ein junger Führungsoffizier der CIA , Clark Barron, nahm nach seiner Rückkehr nach Peking Kontakt mit ihm auf. Zunächst erteilte er ihm nur einfache, kleine Aufträge, die Pioneer ohne weitere Fragen und ohne sich zu beschweren ausführte. Jeder Streifzug durch den Busch war ein Sieg, jeder tote Briefkasten und jedes ausgelieferte Päckchen ein Stich in den Rücken der Partei. Er lernte, wie man sich mit einfachen Mitteln tarnte und Mikrofilme verwendete, später digitale Kameras und Verschlüsselungstechniken. Er entwickelte eine gewisse Methodik in seinem Vorgehen, ohne je leichtsinnig ein Risiko einzugehen. Fünf Jahre lang brachte Barron seinem gelehrigen Schüler das Handwerk bei.
Gleichzeitig wurde Pioneer vom MSS befördert. Er bekam Zugang zu den sichersten Netzwerken, was er den Führungsoffizieren, die für ihn nach Barrons Rückkehr in die USA zuständig waren, meldete. Im Gegenzug erweiterten sie den Umfang ihrer Anfragen an ihn. Nach dem 11. September 2001 befürchtete Pioneer, die CIA würde ihn in ihrem Eifer, Terroristen zu jagen, vergessen, doch die Menge der Anfragen ließ nicht nach. Seine Führungsoffiziere sagten Pioneer nie, dass er für die CIA der produktivste in einem kommunistischen Land angeworbene Spion seit Oleg Penkowski in den 1960er Jahren war. So sprudelten die Geheimnisse wie eine nicht stillbare Sickerblutung aus dem MSS und allen Behörden, die mit dem Ministerium zu tun hatten, einschließlich des Ständigen Ausschusses des Politbüros.
Fünfundzwanzig Jahre kamen und gingen, und er hatte noch immer keinen Frieden gefunden, weil ihn seine Freunde noch immer jagten. All die Jahre hatte er den Platz des Himmlischen Friedens nicht mehr betreten, doch er kämpfte weiter für die Sache, weil seine Freunde sie dort begonnen hatten. Wenn er sonst schon nichts zustande gebracht hatte, plagte ihn zumindest seine Feigheit nicht mehr. Wenn er schon keinen Frieden finden konnte, wollte er wenigstens dem Gesetz der Partei entsprechend seine unvermeidliche Hinrichtung als wohlverdiente Strafe hinnehmen. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass ihn die Volksbefreiungsarmee eines Tages vor eine Mauer stellen und erschießen würde. Und wenn schon! Dann würden ihn seine Freunde vielleicht wieder als gleichwertiges Mitglied in ihre Runde aufnehmen.
Pioneer blickte über den See, wurde von einer sehr kalten Windbö, die unter seinen Mantel kroch, aus seinen Gedanken gerissen. Zeit, nach Hause zu gehen. Zeit, wieder auf Verfolger zu achten.
Der Mann aus dem Fangshan war nicht wieder aufgetaucht. Wenn er vom Ministerium für Staatssicherheit war, wären seine Vorgesetzten verrückt, ihn immer noch zu beschäftigen. Und sie tolerierten nur wenige Verrückte in ihren Reihen. Die meisten bewegten sich in der oberen Führungsriege, wo sie ihrer Dummheit und ihrem korrupten Verhalten dank ihrer politischen Verbindungen freien Lauf lassen konnten. Pioneer hatte täglich mit solchen Leuten zu tun.
Das geplatzte Treffen vom Vorabend nagte an ihm, weil er sich die Gründe dafür noch nicht zusammenreimen konnte, doch wenn ein einzelnes Treffen nicht zustande kam, bedeutete dies noch kein großes Problem. Er wusste aus Erfahrung, welche Informationen die Amerikaner benötigten. Sie wollten wissen, ob das MSS eine Liste der in Taipeh verhafteten Männer und Frauen zusammengestellt hatte, wer davon Offiziere und angeworbene Spione des MSS waren und wer nicht, und was das MSS
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