Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
den Preis, den Taiwan würde bezahlen müssen, um seine Landsleute zu befreien.
Vom Anlegeplatz an der Backbordseite aus beluden Arbeiter das Schiff mit Munition, Treibstoff und anderem Material, doch die Arbeit ging viel zu langsam vonstatten. Schon der Befehl dazu hatte auf dem Weg vom Marinehauptquartier hierher zu lange gedauert. Die Ma Kong hätte bereits die Formosastraße erreicht haben und sich mit dreißig Knoten gemeinsam mit ihren Schwesternschiffen und der Unterstützung aus der Luft auf diese heilige Insel zubewegen sollen, um alle chinesischen Soldaten, die ihnen in die Quere kamen, zu vernichten. Ohne selbst den entsprechenden Befehl erhalten zu haben, hatte er seinen Chefingenieur vorab angewiesen, die vier Turbinen in Gang zu setzen. Die anderen Kommandanten im Hafen ließen mehr Vorsicht walten. Doch der Befehl würde ganz sicher kommen. Er musste kommen. Zulassen, dass die Chinesen Kinmen ohne Gegenwehr einnahmen, wäre nicht zu entschuldigen.
Und sollte der Einsatzbefehl noch länger auf sich warten lassen, würden die Amerikaner mit einem oder mehreren Flugzeugträgern Taiwan zu Hilfe kommen, und dann würde es mit dem Befehl schnell gehen. Mit den amerikanischen Schiffen und Flugzeugen als Stütze für das schwache Rückgrat von Taiwans Bürokraten würde die Ma Kong schließlich in See stechen und an der Seite ihrer ehemaligen Familie kämpfen – und die VBA zwingen, ihren schrecklichen Fehler einzusehen.
Wu drehte sich um und ging um die an Deck gestapelten Kisten herum zum Heck. Die Mannschaft teilte sich vor ihm und ließ ihn wortlos durchgehen, bis er den Hubschrauberlandeplatz erreichte, wo Matrosen einen der beiden Hubschrauber des Schiffs, eine Sikorsky S-70B Seahawk, für den Transport sicherten. Zwei der beiden RIM -Raketenwerfer befanden sich gleich dahinter und wurden von zwei Ingenieuren überprüft. Mit eindeutigen Worten hatte Wu am Morgen seiner Mannschaft klargemacht, dass ihr Leben in mehr als einer Weise von diesen Waffen abhängig war, und damit die Weichen für das weitere Vorgehen gestellt.
An Deck ging es an diesem Abend sehr laut zu, sodass er das pfeifende Geräusch erst in letzter Sekunde hörte. Und plötzlich wurde die Nacht zum Tag, als sich das Schiff vorn aufbäumte, ihn mitsamt der Kisten, Seile und Teilen der Männer, die bis eben noch seine Mannschaft waren, übers Deck warf.
Wu schlug in der Nähe des Hecks flach auf dem Rücken auf. Zum Glück wurde seine Wirbelsäule nicht gebrochen, doch er brauchte ein paar Sekunden, bis er merkte, dass er nichts mehr hörte. Seine Trommelfelle waren geplatzt, und Blut strömte aus Nase und Ohren. Er drückte sich seitlich hoch, überrascht, dass seine Arme noch funktionierten, und versuchte, auf die Beine zu kommen, was ihm erst nach dem dritten Versuch gelang, und das auch nur, weil er blind zur Reling gekrochen war, um sich dort hochzuziehen.
Die Explosion hatte die Ma Kong gleich vor dem Hubschrauberlandeplatz auf der Steuerbordseite beinahe in zwei Teile gerissen. Feuer loderte aus dem riesigen Loch, Rauch waberte zum Himmel, doch Wu wusste, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Ein Teil des Lochs befand sich unter Wasser. Die Ma Kong wurde geflutet, und er betete, dass die Mannschaft unter Deck die wasserdichten Türen geschlossen und die Pumpen eingeschaltet hatte, sofern diese noch funktionierten. Er hörte niemanden schreien, weil er taub war, und rief seiner Mannschaft einen Befehl zu, doch niemand reagierte. Wu hörte seine eigene Stimme nicht. War der Rest seiner Mannschaft so taub wie er?
Er stolperte vorwärts, sank aber auf die Knie, weil auch sein Gleichgewichtssinn gestört war. Oder neigte sich die Ma Kong zur Seite? Wenn das Wasser so schnell eingedrungen war, dann lag sein Schiff mit Sicherheit im Sterben, war auf dem Weg zum Grund des Hafens mitsamt seinen Männern, die unter Deck gefangen waren. Er erhob sich wieder und versuchte weiterzugehen, um den Verwundeten zu helfen, um die Schadenskontrolle zu organisieren oder den Befehl zu geben, das Schiff zu verlassen. Doch wieder kippte er nach vorn, wurde aber von einem Leutnant gestützt.
Die zweite Explosion schleuderte sie beide über die Reling. Wu konnte noch einmal nach Luft schnappen, bevor er in das kalte schwarze Hafenwasser sank. Seine Gedanken waren seltsamerweise nicht auf sein eigenes Überleben gerichtet, sondern auf das des Schiffs. War die Munition an Deck in die Luft geflogen? War wegen der Hitze ein unter Druck
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