Erbarmungslos: Thriller (German Edition)
gerufen, nicht ich ihn«, gab Mitchell zu bedenken. »Und das erklärt, warum das Paket nicht am toten Briefkasten war.«
»Das heißt, mit großer Wahrscheinlichkeit sind Sie ebenfalls enttarnt«, erwiderte Barron. »Ich wette, die Staatssicherheit hatte eine Mikrokamera im Klo oder vor der Tür angebracht.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, gab Mitchell zu. »Tut mir leid, dass Sie einen neuen Stationsleiter suchen müssen. Aber ich frage mich, warum ich nicht gekrallt wurde.«
»Höchstwahrscheinlich versuchen sie immer noch, das gesamte Netzwerk auseinanderzureißen«, sagte Barron. »Wir wissen nicht genau, wie lange er schon beobachtet wird, aber vielleicht seit etwa einem Jahr.«
»Wir können ihn nicht hängen lassen, Chef«, flehte Mitchell mit lauter werdender Stimme. »Fünfundzwanzig Jahre müssen doch für was gut gewesen sein. Wir müssen ihn da rausholen.« Seine Gefühle überraschten ihn. Er war nicht mehr jung und dachte, er hätte es schon vor langer Zeit geschafft, seine Gefühle nicht mit seinem professionellen Urteilsvermögen zu vermischen. Die Schwäche war gefährlich, und er ärgerte sich, dass er sich nicht im Griff hatte.
»Die Zeit war auf jeden Fall für was gut. Nein, wir lassen ihn nicht hängen«, versprach Barron.
»Ich möchte ihn exfiltrieren.«
»Kann ich nicht versprechen«, erwiderte Barron. »Wir müssen vorsichtig sein. Wenn Sie Zweifel haben, ziehen Sie sich zurück. Man muss auch mal auf einen Kampf verzichten können.«
Mitchell runzelte die Stirn. Das Mantra hatte beim ersten Mal ganz klug geklungen. Jetzt hörte es sich an wie das Motto eines Feiglings. »Ein knastvermeidendes Motto«, sagte er, ohne sich der Wahrheit hinter seinen Worten bewusst zu sein.
Barron auf der anderen Seite der Welt nickte. Mitchell war nicht dumm, war schon immer ein Profi gewesen. »Wir werden dafür sorgen, dass es für Pioneer auch so bleibt. Auf die Meinung anderer lege ich keinen Wert, wir sind es ihm einfach schuldig. Ich werde mit Cooke sprechen.«
Schiff der Republik China Ma Kong (DDG-1805)
Marinestützpunkt Tso Ying
Kaoshiyung, Taiwan
Mit vor Stolz geschwellter Brust blickte Kommandant Wu Tai-cheng zum Bug der Ma Kong hinab und nahm einen tiefen Atemzug in der kalten Luft. Das Schiff wurde seitlich vom Kai aus beleuchtet, sodass die metallenen Radarmasten vor dem schwarzen Himmel ein beängstigendes Bild abgaben. Wus Stolz war völlig gerechtfertigt – er stand auf einem Angst einflößendem Schiff. Das wussten auch die Chinesen. Es gab auf der ganzen Welt nur vier Zerstörer der Kidd -Klasse, alle gehörten Taiwan, und eines davon kommandierte er. Die Amerikaner hatten ihn für den Schah von Persien gebaut, doch dieser korrupte, alte Tyrann hatte seinen Thron an die Mullahs verloren, bevor es zur Auslieferung gekommen war. Die Amerikaner hatten die im Scherz Ayatollah -Klasse genannten Schiffe behalten, bis einige Jahre zuvor Taiwan die ehemalige USS Chandler , auf der Wu nun stand, und ihre Schwesternschiffe gekauft hatten.
Die Ma Kong war weniger leistungsfähig als die Zerstörer der Arleigh-Burke -Klasse, welche die Amerikaner ihnen nicht verkaufen wollten, um die Chinesen nicht noch mehr zu verärgern. Dennoch war die Ma Kong ein todbringendes Schiff. Ihre Motoren waren so leise, dass sie U-Boote jagen konnte, sie war mit Harpoon-Raketen bestückt, die den Rumpf eines feindlichen Schiffs in zwei Teile spalten konnten, und die Flugzeuge in Reichweite der RIM -66-Flugabwehrraketen und des Phalanx-Abwehrsystems durften nur weiterfliegen, weil Kapitän Wu so anständig war, sie nicht abzuschießen. Gemeinsam boten die vier Schiffe seinem Land einen beachtlichen Schutz gegen die Luft- und Seestreitkräfte der VBA . Wu verstand nicht, dass sich die Amerikaner immer noch weigerten, seinem Land die besten Waffen zu verkaufen, doch mit Sicherheit sorgte die Ma Kong dafür, dass sich die Chinesen ihre nächsten Schritte genau überlegten.
Als Wu an der Werft vorbei zur beleuchteten Stadt blickte, überkam ihn ein völlig anderes Gefühl. Wahnsinnige , dachte er. Die VBA hatte Kinmen in einem Tag eingenommen, und die Verrückten, die dieses Land führten, versteckten sich in ihren gemütlichen Büros, ohne zu wissen, was sie als Nächstes tun sollten. »Präsident« Liang – Wus Meinung nach verdiente Liang diesen Titel nicht – war einer dieser Verrückten. Seine Arroganz war seinem Volk teuer zu stehen gekommen, und jetzt erhöhte seine Angst vor den Chinesen nur
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