Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Verstand! Der ganze Zorn einer Drachentochter brach einem Vulkan gleich aus ihr heraus und rollte über die Schatten-Seraphine hinweg, um ihnen allen den Untergang zu bringen, oh ja!«
Mina schüttelte verständnislos den Kopf. »Calinda hat alle Schatten-Seraphine vernichtet?«
Nexus’ Kopf wackelte zustimmend hoch und runter. Ein eisiger Schauer überzog Minas Rücken. Welche unvorstellbare Macht schlummerte in ihr? Angst griff nach ihrem Herzen, Angst vor sich selbst. »Was hat Jesa angetrieben? Was war es, was sie mit ihrem Handeln erreichen wollte?«
»Ihre Überzeugung hat sie angetrieben«, erwiderte Nexus mit einer Selbstverständlichkeit, die Mina den Kopf sinken ließ. »Jesa glaubte fest daran, dass die Abgrenzung der Bewohner des dunklen Kontinents falsch sei. Man müsse die Verbannten freilassen und eine andere Lösung des Zusammenlebens finden, aber so einfach ist es nicht. Damals nicht und heute nicht! Eine Drachentochter hat die Aufgabe, für Recht und Ordnung zu sorgen, und das kann sie nicht, wenn alle Kreaturen der Finsternis wie selbstverständlich hier zwischen allen guten und ehrlichen Bewohnern herumlaufen, nein, nein! Chaos würde ausbrechen – abgesehen davon, dass wir nicht einmal wüssten, wie wir die Verbannten wieder freilassen könnten. Jesa jedoch hatte dazu eher idealistische Vorstellungen. Sie wollte etwas bewegen, was ja grundsätzlich nicht schlecht war, aber ihre Wege und Mittel waren absolut falsch!«
Mina schaute ihn zweifelnd an. »Nexus, ich habe auch schon darüber nachgedacht. Ihr habt dort eine riesige Gefahr aufgebaut, immer davon ausgehend, dass die Verbannten nicht wieder zurückkommen. Doch ist die Annahme heute noch korrekt? Wenn ich auf dem dunklen Kontinent leben müsste, und das wohl in Armut, dann wäre auch ich voller Hass. Hass auf die, die in Freiheit und ohne Einschränkungen leben können. Und wenn sich dann die Gelegenheit zur Flucht ergeben würde, würde ich sie nutzen und wahrscheinlich unter den freien Völkern voller Zorn wüten. Was ist, wenn die göttliche Kuppel fällt?«
»Mina«, unterbrach Nexus sie, »es ist ja nicht so, dass die damalige Entscheidung, den dunklen Kontinent als ein Gefängnis zu nutzen, von heute auf morgen getroffen wurde, nein, nein. Diese Vorgehensweise ist eine Institution, die sich über Jahrhunderte eingebürgert hat. Es ist zu spät, um etwas zu verändern, wirklich.«
»Nein, mein Freund, es ist niemals zu spät, um etwas zu verändern.«
Für einen Moment schwiegen sie, dann räusperte sich Nexus. »Wo war ich? Ach ja, Jesa. Calinda war nach dem Tod ihres Gefährten dem Irrsinn nahe. Im Wahn sammelte sie all ihre Kraft und vernichtete die Schatten-Seraphine. Keiner überlebte, und viele Volksvertreter hießen das sogar gut, da die Seraphine wegen ihrem Verhalten und ihren Visionen als Unglücksbringer und Todesboten verrufen waren. Es war eine schlimme Zeit, wirklich. Und danach war Calinda nie wieder wie früher. Sie wirkte stets gehetzt und zerstreut, wurde von Albträumen geplagt und lebte seither mit einer unbezahlbaren Schuld, die ihre Seele zerfraß. Das mag auch einer der Gründe sein, dass sie extrem jung starb. Im Alter von 73 legte sie sich eines Abends zum Schlafen hin und wachte nicht mehr auf, wirklich. Wenn eine Drachentochter in dem Alter stirbt, ist das so, als ob ein normaler Mensch im Alter von 20 Jahren einfach tot umfällt.«
»Was muss ein Mensch innerlich erleiden, dass er zu so einer Tat fähig ist? Und wie schlimm muss es sein, damit zu leben? Ich hätte das auch nicht gekonnt, Nexus.« Mina war sehr bekümmert. Etwas sagte ihr, dass Calinda ihren Tod am Ende gewollt hatte. Der Waldkobold nickte andächtig.
»Und Jesa hat sie auch umgebracht?«, fragte Mina.
»Nein. Oh, nein«, antwortete Nexus. »Für Jesa hatte sie eine andere Strafe. Sie verfluchte sie! Sie sorgte dafür, dass die Magie ihres Drachenblutes mit Jesa tat, was immer sie wollte. Und am Ende schmolz Jesas Leib unter grässlichen Schmerzen dahin und nahm eine neue Form an. Nie wieder sollte sie fliegen oder mit ihrer Schönheit jemanden verführen können, nein, nein. Und so wurde sie zu einem Kopffüßler, der seit dem Tag magisch an ein Wasserloch gebunden ist.«
Mina zog die Augenbrauen zusammen. »Was ist ein Kopffüßler?«
»Nun, es blieb nur Jesas Kopf übrig, doch der endete in dem Körper eines Kraken. Mit magischen Fesseln wurde sie an einen unterirdischen See in einer Höhle gebunden. Sie sollte den See und die
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