Erbe des Drachenblutes (German Edition)
nur, weil du sie nie kennengelernt hast. Da war nichts wundervoll an einer Begegnung mit einem Schatten-Seraphin.« Er räusperte sich. »Nun, ich wollte dir von Jesa erzählen, so war ihr Name, wirklich! Jesa war ein weiblicher Schatten-Seraphin, und sie war wunderschön, oh ja! Sie hatte den Körper einer jungen Frau, deren Haut weißem Marmor glich, und lange nachtschwarze Haare umschmeichelten ihr Gesicht, die nur von der Schwärze ihrer geschmeidigen Flügel übertroffen wurden – so wird sie zumindest in den Aufzeichnungen beschrieben. Die Geschehnisse, die ihr Leben veränderten, fanden während der Regentschaft der zehnten Drachentochter Calinda statt. Jesas Clan lebte damals auf der Steppe von Firlin Fah.«
»Aber Firlin Fah ist eine Menschenregion«, widerholte Mina das, was sie von Zados in den ersten Wochen gelernt hatte.
Bestätigend nickte Nexus. »Ja, heute ist das so, aber früher gab es dort keine Menschen. Das änderte sich aber. Mehr noch, alles fing damit an, dass die ersten menschlichen Siedler nach Firlin Fah zogen. Sie gerieten ständig in Streit mit den Seraphinen, welcher oft zum Tode der Betroffenen führte. Und in die schwierige Zeit wurde Jesa hineingeboren. Sie war vermutlich die ehrgeizigste Vertreterin ihres Volks, und sie vertrat die Meinung, dass Schatten-Seraphine von Natur aus schon über alle anderen Lebewesen gestellt sein müssten. Und warum auch nicht? Immerhin waren sie magische Wesen, oder? Und Jesa war so begabt wie keine Zweite, denn sie konnte nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart und die Vergangenheit sehen, wirklich! Die Legenden berichten, dass ihre Gabe ein Geschenk eines Gottes gewesen sein soll, obwohl es damals keine Götter mehr bei uns gab.« Nachdenklich trommelte er sich mit dem Zeigefinger auf den Lippen herum. »Ihre Visionen sollen so klar wie ein Bergsee gewesen sein, womit sie eine nur sehr geringe Fehlerquote bei ihren Deutungen hatte.«
Mina hob eine Augenbraue. »Mich erinnert das an das scharlatanhafte Kartenlegen einer alten Wahrsagerin auf einem Rummel.«
»Was ist ein Rummel?« Nexus Augen weiteten sich vor Neugier, Mina winkte ab.
»Dann nicht! Wo waren wir? Also, Jesa soll an Größenwahn gelitten haben. Sie kam als Kind nach Tempelburg, lebte hier mit ihrem Vater und versuchte als junge Frau, Einfluss auf die Ratsmitglieder zu nehmen, wirklich wahr! Am Ende soll sie sogar die Macht der regierenden Drachentochter Calinda unterwandert haben, wirklich wahr! Ihr Ziel soll gewesen sein, selbst an die Macht zu gelangen und über ganz Dra'Ira zu regieren!«
Mina verzog ungläubig das Gesicht. »Nexus, meinst du nicht, dass das übertrieben klingt?«
»Das zumindest steht in den damaligen Augenzeugenberichten! Andere sagten aber auch, dass alles nur wegen einem Mann so gekommen ist, wie es kam. Einem jungen Mann der Greifengarde, den Jesa sowie auch Calinda geliebt haben soll. Sein Name war Aaron.« Er schüttelte traurig den Kopf.
»Gerade hast du doch noch erzählt, dass Schatten-Seraphine andere Rassen mieden, was wollte Jesa dann von einem Menschen?«, fragte Mina verwirrt.
»Ich kann nur berichten, was ich gelesen habe. Und wer weiß schon, was die Liebe aus einem macht?« Er rümpfte die Nase. »Auf jeden Fall galt es als unendliche Schande, wenn ein Seraphin außerhalb seines Volks einen Partner erwählte. So etwas stand weit unter der Würde der Seraphine, und wenn es tatsächlich geschah, wurde der betreffende verstoßen. Das war bestimmt ein Problem für Jesa. Das andere Problem war deine Ur-Großmutter Calinda, wirklich! Sie war damals blutjung und hitzköpfig, heißt es. Was dann genau geschehen ist …« Er zuckte demonstrativ mit den Schultern. »Bewiesen ist, dass es Ränkespiele im Völkerrat gab, in die Jesa verwickelt war. Bewiesen ist auch, dass am Ende Aaron aufgrund von Jesas Intrigen getötet wurde. Und Calinda trug zu der Zeit sein Kind unter ihrem Herzen. Aaron war der Vater der elften Drachentochter Kameke Re und somit dein Großvater.«
Fasziniert lehnte sie sich zurück. »Was für eine Welt.«
»Calinda hatte Aaron mehr als ihr eigenes Leben geliebt, heißt es. Und dennoch war sein Tod nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, wirklich. Nur wenige Monate zuvor hatte sie schon ihre Mutter und ihre ältere Schwester aufgrund eines gemeinen Attentats verloren. Unvorbereitet kam sie so an die Regentschaft, die eigentlich ihrer Schwester zugedacht war. Und der Verlust Aarons raubte ihr dann den
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