Erbe des Drachenblutes (German Edition)
etwas aus dem See heraus. Aus der hoch wachsenden Fontäne wölbte sich ein undefinierbarer Körper. Das Wasser prasselte einem Platzregen gleich auf den Boden nieder, dann offenbarte sich Jesa in all ihrer Pracht.
Nexus gab einen würgenden Ton von sich, Salvatorus sog scharf die Luft ein. Mina tat nichts. Sie sah das, was sie erwartet hatte, konnte es aber dennoch nicht glauben. Vor ihr lag ein Wesen auf dem felsigen Untergrund, aus dessen grauen Krakenrumpf acht lange Fangarme zuckten. Unermüdlich zuckten und vibrierten die Fangarme, als ob sie einen unsichtbaren Gegner abwehren wollten. Obenauf saß ein Frauenkopf mit weichen und betörenden Gesichtszügen. Langes nachtschwarzes Haar hing in nassen Strähnen von der Kopfhaut. Schwarze Knopfaugen fesselten Mina, und eine lange Schlangenzunge zuckte zwischen ihren blassen Lippen hervor.
Jesa zischte wütend auf. »Du! Du bist eine Drachentochter! Du trägst das Blut meiner Feinde in deinem Leib!«
Beruhigend erhob Mina beide Hände. »Ja, ich habe Drachenblut in mir, aber ich bin anders. Ich habe deine Geschichte gestern zum ersten Mal gehört, und was dir und Deinesgleichen angetan wurde, war nicht rechtens.«
»Geschwätz von einer verräterischen Drachentochter!«, fauchte Jesa. »Bevor du mich einfach meines Blutes wegen verurteilst, höre mich an!«, konterte Mina. Jesa brüllte kurz auf. Ihr Gesicht war von Wut und Zorn entstellt. »Anhören soll ich dich? Anhören?«
»Jesa, ich bin Mina, Mina von Gabriel. Und wenn du wirklich ein Orakel bist und dich von deiner Wut nicht blenden lässt, dann wirst du wissen, dass ich nicht wie meine Vorfahrinnen bin. Ich bin nicht in Dra'Ira groß geworden, und bis vor einigen Tagen wusste ich nicht einmal, was eine Drachentochter ist. Auch ist mein Drachenblut noch nicht erwacht, und daher weiß ich nicht wirklich, was es bedeutet, eine Regentin zu sein. Ich brauche deine Hilfe! Nicht für mich, sondern für ganz Dra'Ira!«
Jesa wurde leiser. Sie schien nachzudenken. Ihr fast irrer Blick wurde sanfter und ihre Gesichtszüge ruhiger. »Ganz Dra'Ira?«
Die Art, wie sie die Worte betonte, gefiel Salvatorus nicht. Er hatte nicht vergessen, was Jesas Ambitionen gewesen sein sollten, die ihr den Fluch der Drachentochter eingebracht hatten.
»Ja, ganz Dra'Ira. Ich bin hier, weil meine Mutter Samantha, die zwölfte Regentin des Drachenreiches, ermordet wurde und ich nicht von den vereinten Völkern als neue Drachentochter anerkannt werde. Es gibt viele Entscheidungen zu treffen, und ich bin mir nicht sicher, welche die richtigen sind. Ich sehe, dass nicht alles in Tempelburg Gold ist, was glänzt. Hier im Reich der Drachentochter wurden über Jahrhunderte Fehler begangen, einfach weil sie vorher auch schon so gemacht wurden. Möglicherweise kann ich etwas verändern. Doch ich weiß nicht, wie! Vieles hier ist mir noch fremd, aber ich fühle einfach, dass wesentliche Änderungen herbeiführt werden müssen, um den Frieden für alle zu gewährleisten.« Mina erkannte, dass ihre Worte bei Jesa Wirkung zeigten. Der Krakenkörper entspannte sich, bis jedes Tentakel friedlich auf dem Boden lag.
Jesa ließ sich Zeit, dann nickte sie. »Einst war ich ein Schatten-Seraphin, ein gefallener Engel, der das ewige Leid empfindet, der letzte seiner Art zu sein. Was ich sehe, ist stets die Wahrheit, und ich sehe deine Vergangenheit, Mina. Ich sehe sie über die Grenzen unserer Welt hinaus.« Ihre Augen wurden milchig. »Es stimmt, dass du in einer anderen Welt groß geworden bist. Ich sehe, dass du in deinem Herzen andere Vorstellungen von Recht und Unrecht hast. Andere als die Drachentöchter, die hier in Dra'Ira aufgewachsen sind. Und ich sehe den gewaltsamen Tod deiner Mutter, der noch nicht aufgeklärt wurde.« Sie schwieg, dann grinste sie. Die Mimik hatte etwas Beunruhigendes.
»Kannst du mir helfen, Jesa?«, fragte Mina vorsichtig.
Jesa nickte. »Oh ja, das kann ich. Ich sehe alles und kann dir vieles prophezeien, aber warum sollte ich das tun? Was bietest du mir für meine Weissagungen? Die Vergangenheit liegt bereits festgeschrieben hinter dir, doch die Zukunft kann sich noch verändern. Ich sehe gewisse Wege, die du einschlagen kannst, und manch einer führt in den Untergang.«
»Und andere in eine friedvolle Existenz?«, fragte Mina.
Jesa nickte erneut. Mina blickte Salvatorus an. Er wirkte angespannt, schwieg aber. Offensichtlich wusste er nicht, was er sagen sollte.
Mina dachte darüber nach, dann traf sie eine
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