Erbe des Drachenblutes (German Edition)
das Festland schaffen?«
Für einen Moment kicherte Melanie. Es klang wie das schüchterne Lachen eines unschuldigen Mädchens, was gar nicht zu ihr passte.. »Ich bitte dich! Wie würdest du denn Soldaten auf das Festland schaffen? Natürlich mit Schiffen!«
»Schiffe?«
»Ja, Schiffe. Die Bauarbeiten an den Kriegsschiffen haben kurz nach deinem Weggang begonnen. Einige Wälder mussten dafür weichen. In der Zwischenzeit wurde ein ganzer Hafen erbaut, der nur dem einen Zweck dient: Sicherung und Ausschiffung der Soldaten. Er trägt den gleichen Namen wie unsere Hauptstadt: Hafen Domusta.«
»Wo soll der Hafen liegen?«, fragte Nirvan.
»Er liegt nördlich von hier. Vom Festland ist er nicht zu sehen, aber warum sollte man auch nach ihm Ausschau halten? Immerhin glauben ja alle, dass wir sowieso nicht fortkönnen.«
Nirvan war blasser geworden. »Melanie, bringst du mich dort hin? Ich möchte den Hafen sehen!«
Melanie zögerte, dann nickte sie.
Nur wenig später saßen beide auf Pferden und ritten gen Norden. Als sie Crudus Cor verließen und durch die Straßen der Stadt kamen, musterte Nirvan die Ansammlung der heruntergekommenen Hütten, die der Monarch als `seine Hauptstadt´ bezeichnete. Sie bestanden nur selten aus Holz oder Stein, sondern überwiegend aus Lehm und Stroh. Die Dächer waren meist leicht eingesunken und die Fenster notdürftig zugehängt. Nur wenige Bewohner hielten sich in den Straßen auf, und die hatten es eilig, nicht gesehen zu werden. Ihre Kleidung wirkte grau und sah schmuddelig aus. Die Haare waren ungekämmt, und die wenigen Kinder, die Nirvan sah, waren schmutzig und abgemagert. Die Menschen, die hier lebten, waren arm. Bei dem Anblick der heruntergekommenen Bewohner und Gebäude wurde ihm schlecht. Hin und wieder sah er auch eine aus allen Rassen zusammengewürfelte Einheit Soldaten, die stramm in Richtung des Burghofes marschierte oder von dort kam. Er ritt zügig durch die engen Gassen, dicht hinter Melanie, und versuchte die Welt um ihn herum aus seinem Bewusstsein auszuschließen.
Nach eineinhalb Stunden kamen sie auf einen Hügel, von dem aus sie die Schiffsrümpfe sehen konnten. Vor ihnen lag ein abgelegener Teil der Küste. Die Brandung war in der Ferne gut zu hören, und vereinzelt schrie eine Möwe laut auf. Sie näherten sich den Schiffen, die teilweise schon fertiggestellt, aber noch nicht zu Wasser gelassen waren und zum andern Teil noch als nackte Holzskelette dalagen. Nirvan begriff, dass der ganze Hafen Domusta nur aus den Schiffsbauten und einer Ansammlung von armseligen Strohhütten bestand, die noch schlimmer aussahen als jene in der Hauptstadt.
»Jeder, der sich nicht als Soldat eignet, wird zum Schiffsbau abgestellt«, erklärte Melanie, die ihr Pferd neben das seine lenkte. Ihr Tier schnaufte unruhig. Heller Dunst stieg aus seinen Nüstern. Nirvan zählte über dreißig riesige Holzschiffe, die aufgebockt in der Nähe des Wassers auf Land lagen. Sie waren alle so gebaut, dass sie die Überfahrt zum Festland überstehen konnten, doch mehr auch nicht. Bei näherer Betrachtung wiesen sie unterschiedliche Baumängel auf. Er sah Stellen, bei denen die Abdichtung zwischen den Planken nur provisorisch durchgeführt worden war. Wenn ein solches Schiff zwei Jahre im Wasser liegen würde, wäre es nur noch ein Haufen Treibholz, so viel wusste er vom Schiffsbau.
Der Plan war offensichtlich. Die kürzeste Strecke war der Weg zwischen dem östlichsten Ende des dunklen Kontinents und dem Hafen der Fügung auf dem Festland. Dort gab es nur eine kleine Siedlung und noch weniger Bewohner. Und jetzt bot der Ort eine ideale Angriffsstelle. Einmal dort gelandet, würden die Soldaten die freien Völker überrennen können. Und war Cor Ketos Streitmacht dort erst gesichert, konnten die besseren Schiffe der Gegner übernommen werden.
Er hatte genug gesehen. Wortlos wendete er sein Pferd und ritt zurück zur Festung. Ob Melanie ihm folgte, war ihm gleichgültig.
Seit dem Ausflug waren Tage vergangen. Tage, die Nirvan wie Monate im Strudel der Finsternis vorkamen. Ihm wurde klar, dass alles von langer Hand perfekt geplant war und er – als kleiner Bauer in einem Schachspiel – die Tragweite der Geschehnisse nicht früher hatte erkennen können. Alles hing mit Cor Ketos Plänen zusammen, die freien Völker mit Hilfe von Sennus Nachtschatten und der Koboldschamanin Medana zu überfallen und zu unterjochen. Was Nirvan aber vollkommen aus dem Konzept gebracht hatte, war die
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