Erbe des Drachenblutes (German Edition)
einen ganz brauchbaren, willenlosen Krieger ab. So schien es zumindest, doch am zweiten Tag auf dem Festland hatte er zu fliehen versucht. Die Richtung, die er dabei eingeschlagen hatte, war für Nirvan ein offenes Buch gewesen. Er war nach Südwesten gelaufen, direkt auf die kleine Bergkette namens Drachenwiege zu, die an das Land der Schöpfungssänger grenzte. Er wollte nach Hause …
Ignis hatte seine Flucht bemerkt. Sie hatte nur einen Zeigefinger gehoben, sich konzentriert, und ein Strahl lebendes Feuer hatte sich über den Mann gelegt. Seine Todesschreie verfolgten Nirvan seitdem in jeder Nacht.
Ignis nickte leicht. »Ja, genau wie dieser Unglückselige. Unsere Anweisungen sind klar, und wir können es uns nicht erlauben, den Männern ihren freien Willen zu lassen. Wo soll das enden? Was, wenn all unsere Soldaten nach der Eroberung des Festlandes einfach fortlaufen?«
»Brauchen wir denn noch Soldaten, wenn das Festland erobert ist? Ich dachte, wir würden in erster Linie für die Freiheit des dunklen Kontinents kämpfen, und frei wären wir ja dann alle.«
Ignis schmunzelte. Es sah eher gefährlich als schön aus. »Nirvan, da, wo ich herkomme, führen Menschen Krieg, solange es sie gibt. Wir können nicht ohne Krieg existieren, so scheint es. Es gibt ausreichend Lebensmittel und Lebensraum, und dennoch schlagen wir uns die Köpfe ein. Warum? Ganz einfach, weil die Macht ungleich verteilt ist und die Menschen, die die Macht und das Geld besitzen, niemals auf die Idee kämen, zu teilen.«
»Was willst du mir damit sagen, Ignis?«
»Der Mensch ist in meiner Welt zum Frieden nicht fähig, und ich sehe nichts, was mich glauben lässt, dass es hier anders wäre, auch wenn die Bevölkerung von Dra'Ira nicht nur aus Menschen besteht. Ich bin mir sicher, dass die freien Völker nur mit Unterdrückung akzeptieren, dass die Bewohner des dunklen Kontinents auch ein Recht auf Freiheit haben.«
Nirvan wandte sich ab und schaute wieder hoch zum Gipfel. Sie waren nicht mehr weit entfernt. In zwei Tagen mochten sie am obersten Ende des Berges sein. »Ignis, es tut mir leid, dass du aus einer so grausamen Welt kommst und hier auch nichts anderes als Schmerz kennengelernt hast.« Er ließ sie stehen. Ignis verkrampfte sich, bis jeder noch so feine Muskelstrang in ihrem Gesicht hervortrat. Einige der nachfolgenden Krieger sahen das und machten einen weiten Bogen um sie.
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Kapitel 10: Das Erwachen
Mina hatte ihr Gesicht tief in den Mantel aus Wolfsfell gedrückt. Wind und Schnee schlugen ihr entgegen. Sie drehte sich zu Simon um. »Wie weit ist es noch?«
Er hatte, wie alle anderen Reiter, seine leichte Uniform gegen mehrschichtige, winterfeste Kleidung getauscht. Ein mit Schaffell gefütterter Mantel umschloss seinen ganzen Körper, und eine tief hängende Kapuze schützte das Gesicht. Ein Wollschal war eng um Mund und Nase gewickelt. Bei seinem Anblick kam Mina nicht drum herum, an den frühen Morgen des Tages zu denken, der harmonisch begonnen hatte. Anfänglich hatte sie nur einen leichten Wind aufkommen gespürt, der jedoch ungewöhnlich schnell kühler wurde. Irgendwann war die Luft so kalt gewesen, dass sich weiße Kristalle an ihren Haarspitzen gebildet hatten. Dann hatte sich der Himmel verdunkelt – so schnell, als wäre bei einer Theateraufführung der Vorhang zugefallen. Schwarzgraue Wolken hatten sich über ihren Köpfen zusammengezogen, die eifrig zu den obersten Bergspitzen strebten und die Greifen mit sich forttrugen. Und nur kurz darauf hatte ein solches Unwetter begonnen, wie Mina es sich nicht in ihren kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Ein Sturm tobte, riesige Schneeflocken und eisige Wasserklümpchen donnerten den Greifenreitern gegen die Körper und suchten zielsicher ihren Weg in ihre Gesichter. Und dieser Sturm war seit seinem Ausbruch vor einigen Stunden nicht im Geringsten schwächer geworden, im Gegenteil. Mina spürte selbst durch ihre dicke Kleidung die kleinen, unablässigen Stöße, die immer öfter kamen und härter wurden. Es war fast so, als wolle eine göttliche Hand die ungewollten Besucher loswerden und tue deshalb alles dafür, dass sie abdrehten.
Herdanik gab Befehl, alle Greifenreiter näher zusammenrücken zu lassen. In einer engen Formation versuchten sie den Kräften der Natur zu trotzen. Zu eng durften sie aber auch nicht fliegen, da sie ansonsten gegeneinander geschleudert wurden. Mina bemerkte, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Greife links und
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