Erbe des Drachenblutes (German Edition)

Fremde kicherte kurz, dann seufzte er traurig. Mina kam es vor, als spräche sie mit einem alten, unglücklichen Mann, der nicht wirklich wusste, was er wollte.
    `Mein Freund heißt Cor Keto, ich dachte, du wüsstest das. Er ist mein einziger Freund in den letzten Jahrtausenden gewesen. Wenn ich mal einen anderen Freund gefunden habe, ist er gegangen und nie wieder gekommen. Cor Keto ist immer für mich da! Er hat mir versprochen, dass er mich niemals alleine lässt. Er fand mich zu einer Zeit, in der ich dachte, dass ich vor Einsamkeit sterben müsste, ohne ihn hätte ich das vielleicht auch getan. Er beschützt mich seitdem vor der Welt außerhalb und vor Feinden innerhalb der Festungsmauern.´
    Mina deutete ein ungläubiges Kopfschütteln an. `Aber wovor solltest du denn außerhalb dieser Mauern beschützt werden? Was gibt es denn dort draußen, das dir Angst einjagen könnte? Wer die Macht hat, auf dem Weg mit anderen zu kommunizieren, hat der nicht auch die Macht, sich gegen Angriffe zu wehren?´
    `Cor Keto hat mir berichtet, wie die Welt sich verändert hat´ , fuhr der Fremde fort. `Ohne den guten Einfluss der Götter ist sie böse und gewalttätig geworden. Ich weiß nicht, ob die Bewohner Dra'Iras mir etwas tun würden, aber allein der Gedanke, dass ich das Leid dort draußen mit eigenen Augen erblicken müsste, zerreißt mir das Herz. Und davor beschützt mich mein Freund. Wer weiß, wo ich heute ohne ihn wäre.´
    Ein dicker Kloß bildete sich in Minas Kehle. `Cor Keto ist niemandes Freund! Und wenn er dir erzählt hat, dass die Welt da draußen zu grausam für dich sei, dann hat er dich belogen. Dort, wo es Leben gibt, gibt es auch Tod, das ist der ewige Kreislauf. Dort, wo es Zivilisation gibt, gibt es auch Verbrechen, leider ist das auch ein Teil der Natur der meisten Völker. Aber die Augen vor der Realität zu verschließen macht die Welt nicht besser! Und Cor Keto will Dra'Ira nicht "befrieden", denn seine Vorstellungskraft kennt den Sinn des Wortes Frieden nicht einmal. Geschweige denn, dass er die Macht dazu hätte.´
    `Das stimmt nicht! Er hat die Macht dazu, denn ich habe sie ihm gegeben.´
    Ihre Kiefermuskeln spannten sich an. `Du hast ihm die Macht dazu gegeben? Oh, bei den Göttern, was hast du getan? Cor Keto ist kein guter Regent. Cor Keto ist ein Unterdrücker, der seine eigenen Untertanen quält, ermordet und unterjocht. Ich weiß das, weil ich das aus den Erfahrungen von zwölf Drachentöchtern so deutlich vor mir sehe, als ob ich meine eigenen Erfahrungen mit ihm gemacht hätte. So eine Kreatur darf man nicht auf die freien Völker loslassen, deswegen bin ich hier! Sein ganzes Treiben der letzten Jahrzehnte lief auf ein Ziel hin: Heute soll der Tag gekommen sein, an dem er aus seinem Gefängnis ausbrechen will. Alle Abtrünnigen, Verbrecher und Mörder kommen hierher, damit sie die einfachen Bürger nicht weiter belästigen können. Ich weiß, dass das falsch ist, aber es war der Weg, den die zwölf Drachentöchter vor mir gegangen sind. Sie haben damit hier ein riesiges Gefahrenpotential aufgebaut, und dieser Vulkan wird heute Abend ausbrechen!‘ Sie holte schwer Luft. ` Cor Keto bereitet mit seinen engsten Vertrauten den Zusammenbruch des göttlichen Schutzschildes vor. Wenn das geschieht, dann werden alle düsteren Kreaturen auf die unvorbereiteten Völker auf dem Festland losgelassen. Und wenn Cor Keto von einer Befriedung spricht, dann kann er nur die Vernichtung des freien Willens meinen. Unzählige Opfer werden seinen Weg pflastern … und du hast ihm die Macht dazu gegeben?´
    Zitternd vor Anspannung, Aufregung und Wut hatte sie sich in ihren Gedankengängen verloren. Keines der Worte hatte sie laut ausgesprochen, dennoch wusste sie, dass sie ihrem Gegenüber jedes einzelne deutlich entgegengeschleudert hatte. Sie hatte gespürt, wie ihre ganzen Emotionen in die gedachten Worte machtvoll eingeflossen waren.
    Der Fremde begann unverständlich zu stottern. Er klang irritiert, und kurz war Mina davon überzeugt, dass er sich aus ihrem Verstand zurückziehen wollte. Die unsichtbare Präsenz schien mit sich selbst zu ringen. `Ich verstehe nicht ... Was erzählst du mir da? Das ist der Grund, warum Cor Keto mir verboten hat, mit anderen Kontakt aufzunehmen. Er sagte mir, dass es Lebewesen gibt, die mich belügen würden, um einen Keil zwischen uns zu treiben. Warum sollte er mich belügen? Ich kenne ihn schon so lange! Wieso sollte ich also deinen Worten Glauben schenken?´
    `Gut, du