Erbe des Drachenblutes (German Edition)
aufgebürdet hat, leben muss. Bis zu dem Tag ihrer Erkenntnis soll sie aber über Dra'Iras Ländereien wandern und versuchen, ihre Taten wiedergutzumachen. Sie soll die Chance bekommen, Gerechtigkeit auszuüben, um bis in alle Zeit daran zu scheitern. Aber ich bin auch nicht ohne Gnade. Sobald sie das Verständnis gefunden hat, wird ihrem Herzen Frieden geschenkt werden.«
Nirvans Kehle verengte sich. »Was für eine Strafe … «, flüsterte er andächtig. Im Moment wollte er nicht in der Haut seiner alten Weggefährtin stecken.
Samantha hob eine Hand zum Gruß, dann verschwanden auch ihre letzten Konturen.
»Wenn Mina erwacht, sage ihr bitte, wie stolz ich auf sie bin!«, waren die letzten Worte, die noch in der Luft hingen. Nirvan stöhnte und schlug eine Hand vor sein Gesicht. All das, was hier geschehen war, war fast zu viel für ihn.
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Ignis wimmerte leise vor sich hin. Diese Lebensform in dem Körper eines Jungen hatte sie geistig berührt und förmlich zerrissen. Er sprach von Einsicht und wahren Erinnerungen, aber das Einzige, was er ihr gegeben hatte, waren Schmerzen, schreckliche Schmerzen. Geheilt hatte er sie nicht, dagegen hatte sie sich gesträubt. Was für eine Art von Heilung hatte er sich auch vorgestellt? Zitternd drückte sie sich eine Hand an die Stirn. Der Druck ließ nach, aber was war geschehen? Der Junge hatte sie in die Knie gezwungen. Irgendwann hatte sie im Hintergrund des Saals aufkommende Kampfhandlungen vernommen, doch sie war nicht fähig gewesen, sich damit zu beschäftigen. Dann war der Junge fortgegangen. Sie war zusammengebrochen und trieb seitdem zwischen Erinnerungen umher, die nicht die ihren waren. Sie erinnerte sich an ein ganzes Leben, das nicht das ihre war.
Überrascht zog sie vorsichtig an einer Haarsträhne. Ihr feuerrotes Haar war nun von hellblonden Strähnen durchzogen, und nicht nur das. Sie schaute ihre Hand an und erkannte, dass sie mit ihrem linken Auge alles so sah, wie es die Hexe Ignis seit dem ersten Tag ihrer Existenz tat. Aber die Sicht durch ihr rechtes Auge hatte sich verändert. Darin lag keine besondere Kraft mehr, keine Hexenfähigkeit, sondern nur die gewöhnliche Sehstärke einer menschlichen Sterblichen.
Sie begann lauter zu stöhnen, fühlte sich von ihrem eigenen Körper abgestoßen und dachte wieder voller Zorn an den Jungen, der keiner war. »Was hast du aus mir gemacht?« Sie kannte die Antwort. Der Junge hatte sie verändert, wahrscheinlich bei dem Versuch, sie zurückzuverwandeln. Aber er hatte es nicht zu Ende gebracht, wohl weil er bei den Kampfhandlungen mit Cor Keto von Mina benötigt worden war. Zum Teil war sie noch die Ignis, auf deren Zielstrebigkeit sie stolz war. Aber jetzt war sie auch jemand anderes, jemand, der mitfühlend, traurig und einsam war.
Angewidert schüttelte sie sich. Sie dachte an Mina, die ihr ins Gewissen geredet hatte. Wie hatte sie sie genannt? Janice, Janice Schneider. Sie war einst ihre Freundin gewesen, doch auf Medanas Altar hatte sie aufgehört zu existieren. Aber stimmte das? Mina hatte gesagt, dass sie überzeugt sei, dass einen Teil von Janice noch in Ignis zu finden war. Vielleicht war es das gewesen, was der Junge mit ihr gemacht hatte. Er hatte den Teil von Janice Schneider, den es noch irgendwo in ihr gegeben hatte, an die Oberfläche gezerrt. Was so entstanden war, waren zwei Hälften von grundverschiedenen Individuen, die jetzt in einem Körper gefangen waren.
Hustend versuchte sie sich aufzurichten. Ihr war klar geworden, dass sie in ihrem jetzigen Zustand hier nichts mehr ausrichten konnte. Sie blickte in den vollkommen ruinierten Audienzsaal und sah einen toten Drachen. Zuerst kam er ihr unbekannt vor, dann aber erkannte sie die Gesichtszüge: Cor Keto. Er war tot, jemand hatte ihm ein Schwert ins Auge gerammt. Ignis musste fort von ihr, weit fort. So weit, dass weder Mina noch der Junge oder Nirvan sie finden konnten. Sie brauchte Zeit, um ihre Kräfte wieder zu sammeln, und dann würde sie zurückkommen. Zurück zu all denen, die ihr Leben zum zweiten Mal ruiniert hatten. Ignis würde Mina das niemals verzeihen ... und Janice würde es auch nicht vergessen. Befriedigt stellte sie fest, dass etwas in ihr – jemand in ihr – den Racheplänen zustimmte. Sie lächelte verkrampft, als sie sich lautlos fortschleppte.
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Mit laut scheppernden Schritten rannten mehrere bewaffnete und gerüstete Krieger in Cor Ketos ehemaligen Audienzsaal. Schlitternd blieben sie an der
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