Erbe des Drachenblutes (German Edition)
mannsgroßen Öffnung erkannte Mina eine schmale Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. »Wer auf Hilfe angewiesen ist, sollte nicht wählerisch sein, wirklich.« Nexus trat ein.
Als alle drei auf der Treppe standen, schloss sich die Tür aus Rinde hinter ihnen und verschmolz wieder nahtlos mit dem Baum. Für eine Weile herrschte erdrückende Finsternis, doch dann erwachten überall um sie herum kleine Lichtpunkte zum Leben.
»Ich dachte, Kobolde können nicht zaubern?«, fragte Mina verwundert.
»Kein Zauber, nein, nein. Das ist die Macht der Natur«, erklärte Nexus. »Die Natur und die Kobolde mögen sich. Wir sind füreinander da, weißt du? Wir helfen dem Wald und der Wald hilft uns. Wir haben da ein stillschweigendes Abkommen, seitdem wir beschlossen haben, im Wald zu leben. Und unsere kleinen Freunde«, er zeigte auf die um sie herumtanzenden Lichtfunken, »sind Glühwürmchen. Sie leben hier und wir füttern sie gut. Also spenden sie uns ihr hellstes Licht.«
Mina konnte es kaum fassen. »Glühwürmchen gibt es bei uns auch, aber ich habe noch niemals welche gesehen, die so hell und intensiv leuchteten und unter der Erde leben. Auch habe ich noch niemals einen Baum gesehen, der einen solchen Stamm hat, dass eine Wendeltreppe darin Platz gefunden hätte.«
Im Licht der Glühwürmchen sah Nexus nicht grün, sondern eher orange aus. Er zuckte mit den Schultern. »Die meisten der Bäume, an denen wir vorbeigekommen sind, waren Koboldbehausungen. Bäume des Walds, die so alt sind, dass sie ihren Seelenfrieden gefunden haben, verformen sich über die Jahrzehnte selbst, bis sie innerlich so hohl sind, dass sie uns – den Waldkobolden – Unterschlupf gewähren können. Und wir würden uns auch niemals etwas gegen den Willen des Waldes nehmen. Dieser Baum hier ist nur ein kleines Puzzlestück eines großen Ganzen. Die Bäume oben sind nur der sichtbare Teil eines unterirdisches Kobolddorfes.«
»Ein Dorf?«, wiederholte Mina.
»Ja, mein Heimatdorf: Pagalaz«, sagte er mit einem sehr zufriedenen Gesichtsausdruck.
»Auch das noch«, stöhnte Nirvan. »Es wird ein dusseliges Familientreffen der grünen Zwerge geben, und wir sind mittendrin.«
Irgendwann endete die Treppe in einer Kammer, von der mehrere Gänge sternförmig fortführten. Links und rechts von jedem Durchgang hingen zwei riesige Laternen, in denen sich Hunderte von Glühwürmchen bewegten. Die Laternen waren unten offen. In regelmäßigen Abständen strömten einige Tiere mit einem blasseren Leuchten heraus und andere, frisch und ausgeruht, flogen hinein. Mächtige, liebevoll bemalte Stützpfeiler aus Holz gaben den tunnelartigen Gängen Stabilität. Mina erkannte auf ihnen Zeichnungen von tanzenden Kobolden und hüpfenden Tieren oder Kampfszenen gegen Eber oder Zentauren, bei denen die Kobolde als Sieger hervorgingen. Sie drehte den Kopf in allen Richtungen.
»Unglaublich«, hauchte sie. »Ich habe so etwas Schönes noch nie gesehen! Es sieht hier so friedlich aus, als gäbe es keinen Ärger auf der Welt.«
»Friedlich wie eine Gruft«, brummte Nirvan, doch keiner beachtete seine Worte.
Seufzend nickte Nexus. »Hier, Mina, gibt es auch keinen Ärger. Wir leben in Einheit mit den Geistern der Erde zusammen und genießen das einfache Leben.« Seine Mimik verfinsterte sich. »Wenn es Ärger gibt, dann kommt er immer von oben. Meistens von den Großen, wie wir auch die Menschen gerne nennen.« Entschuldigend zuckte er mit dem Kopf zur Seite.
»Aber wo sind die Kobolde?«, wollte sie wissen.
»Die Gänge der Siedlung gehen viele Meilen tief ins Land, da weiß man nie genau, wo sich gerade der eine oder andere befindet, wirklich. Es gibt hier auch mehrere Ebenen, die sich unter unseren Füßen tiefer in die Erde erstrecken. Die meisten werden aber um diese Zeit ihren Arbeiten nachgehen.«
Nirvan stöhnte auf und griff sich an den Kopf. Schweigend war er dem Waldkobold in die Tiefen gefolgt, aber jeder konnte sehen, dass er seine ganze Konzentration dafür aufbringen musste.
Mina musterte ihn besorgt. »Nexus, wir müssen für Nirvan einen Lagerplatz finden. Es geht ihm schlechter, er braucht eine Pause.«
»Blödsinn«, murmelte Nirvan, dann taumelte er erneut. Mina stützte ihn. Ohne weiteres Zögern führte Nexus sie in einen der Gänge. Dort begegneten sie nach wenigen Metern den ersten Bewohnern. Minas Augen funkelten neugierig. Es waren zwei Kobolde, die kleiner gewachsen und schmuddeliger gekleidet waren als Nexus. Sie wollte sich beide
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