Erbe des Drachenblutes (German Edition)
sie vernehmlich in das Ohr des Zwerges, doch er hob nur unwissend die Schultern.
Unruhe kam auf, bis ein lauter Ausruf jedes Gespräch zerriss. »Schweigt still! … Bitte.«
Alle Blicke richteten sich auf eine Stelle. Da erst wurde Mina bewusst, dass sich dort, in der gegenüberliegenden Mitte des Halbkreises aus Tischen, ein Podest erhob, auf dem eine Frau saß, die sich aufgrund ihrer schneeweißen langen Haare und ihrer fließenden weißen Gewänder kaum von der Helligkeit des Saals abhob. Sie war schlank, mittleren Alters, und auf ihrem Haupt glänzte ein schlichter, goldener Reif. Sie saß auf einem marmorierten Thron und blickte neugierig zu Mina. Noch etwas anderes als Neugier lag in dem Blick.
Minas Herz donnerte in ihrer Brust. Sie wagte kaum, den Blick erneut in die Runde zu werfen, da erhob sich die Frau von ihrem Thron. Das wallende Gewand wogte um ihren Körper. Gütige Gesichtszüge und schmale Augen musterten die Neunzehnjährige aufmerksam. Mina stockte, als sie begriff, wer die Frau war. Die Drachentochter , die letzte Nachfahrin von Lian, war ein Mensch.
Nexus stupste Mina vorsichtig an. »Du solltest vielleicht etwas sagen.« Sie wusste, dass er recht hatte, aber sie konnte nicht.
Die Regentin schritt von dem Podest herab. Anmutig näherte sie sich. Kurz vor Mina blieb sie stehen. »Habe keine Angst, Mina von Gabriel. Du bist unser Gast, und es wird dir hier kein Leid wiederfahren.«
Mina stockte. »Sie ... Sie kennen meinen Namen?«
Die Regentin neigte verständnisvoll den Kopf zur Seite. »Ja, ich kenne deinen Namen.«
Mina dachte nach. Was sagt man einer allmächtigen Frau, wenn man sie das erste Mal traf? »Sie sagen, ich sei ein Gast, aber Gäste werden nicht aus ihrem Zuhause entführt, nicht wahr?« Das waren nicht die Worte gewesen, die sie heimlich zuvor geübt hatte. Jetzt aber waren sie ausgesprochen, und im Grunde war es auch das gewesen, was sie am meisten beschäftigte.
Die Drachentochter senkte ihren Blick. »Natürlich. Ich werde versuchen, dir all deine Fragen zu beantworten, aber das sollten wir zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort tun.«
Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch da erhob sich einer der Elben und fiel ihr ins Wort: »Verzeiht, meine Regentin, doch ich finde, wir sollten uns nicht von unserem vorherigen Gespräch ablenken lassen. Es gibt vieles zu entscheiden, und das sollte nicht durch eine kleine Störung verschoben werden!«
Die Drachentochter drehte sich zu dem Sprecher. »Gelehrter Xsanthani, Ihr seid der Sprecher der Elbenvölker und Eure Stimme ist dem Rat heilig, das wisst Ihr. Doch ich versichere Euch, dass die kleine Störung ausnehmend wichtig für die Zukunft unseres Reichs ist.«
Der Elb schüttelte den Kopf. »Nein. Das könnt Ihr mir nicht versichern. Wir sprachen darüber, dass in unserer scheinbar heilen Welt einiges nicht mehr stimmt. Der lautlose Tod ist nur ein Vorbote dessen, was kommen wird. Und ich muss mit deutlicher Stimme nochmals darauf hinweisen, dass Ihr, als die letzte Tochter des weißen Drachens, keine Nachkommen habt. Es wird Zeit, dass Ihr einen Vertreter findet, der Euch in den kommenden schweren Stunden unterstützt und der den anderen Völkern als möglicher Erbe näher gebracht wird. Was ist, wenn Euch etwas zustößt? Wir, die vereinten Völker, würden uneinig werden und ohne Führung dastehen. Verzeiht meine direkten Worte, Regentin, doch der dunkle Kontinent ist aktiver denn je, und mein Volk ist der festen Überzeugung, dass wir baldmöglichst einige wichtige Schritte einleiten müssen, um unseren Familien weiterhin die gewohnte Sicherheit gewährleisten zu können.«
Laute Stimmen erfüllten den Saal. Die Vertreter der Völker klangen zornig und untereinander uneinig. Einige der anderen Elben erhoben sich und stellten sich bestätigend neben Xsanthani.
Ein grauhaariger Mann mit der Statur eines Bären, aber einem überdeutlichen Bauchansatz stand auf und fuhr sich nachdenklich über seinen gestutzten Bart. Mina schätzte ihn auf ein Alter von Fünfzig, doch dafür hätte er sich gut gehalten. Entschlossenheit stand in seinem Gesicht geschrieben.
Nirvan brummte missbilligend, als er ihn erblickte. Anscheinend kannte er ihn. Einige der Anwesenden murmelten einen Namen: Salvatorus.
»Sprecher der Völker!«, rief der Mann laut. »Wir sind hier im Hause der Drachentochter, bitte vergesst das nicht! Behandelt sie mit dem Respekt, der ihr gebührt. Ihr habt mich zum Ratssprecher bestimmt, weil Ihr
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