Erbe des Drachenblutes (German Edition)
konnte sie das den Elben vorwerfen? Die geheimnisvolle Drachentochter war selbst kein Drache, sie war ein Mensch. Mehr noch. Sie behauptete, ihre leibliche Mutter zu sein. Aber welche Beweise gab es dafür? Mina ergriff ihr Amulett. Ja, das Amulett war einzigartig, das hatten ihre Adoptiveltern in den Jahren der Suche herausgefunden. Aber war es tatsächlich so einzigartig, dass es nur von hier stammen konnte?
Minas Stirn pochte. Der Kopfschmerz wollte nicht enden. Sie war nach der Ratsversammlung stark bewacht in die Privatgemächer der Drachentochter geführt worden. Die Wächter dienten angeblich ihrem Schutz, und selbst ihr Wunsch, dass Nirvan und Nexus sie begleiten sollten, wurde abgelehnt. Seitdem war sie in diesem Raum, der so groß war, dass man problemlos drei große Wohnräume daraus hätte gestalten können. Edle Stoffe zierten die Decke, ein riesiges Bett an der Wand war das dominierende Möbelstück, und Bildnisse der Regentin hingen an den Wänden. Sie schaute eines der Portraits an und blickte dann in einen Standspiegel, der neben dem breiten Bett stand. Sah sie ihr ähnlich? Konnte sie die Wahrheit sagen?
»Es tut mir leid, Selene.« Die Stimme, die Mina aus ihren Gedanken riss, klang warm und gütig. Neben ihr stand plötzlich die hoch gewachsene Regentin, die durch die Abendsonne noch strahlender erschien. Ihre langen Haare und ihre blauen Augen fesselten Mina. Wann war sie hereingekommen? Mina hatte keine aufschwingende Tür oder sich annähernde Schritte gehört.
Hinter der Regentin erklangen leise Geräusche. Einige Frauen, alle in gleiche hellgrüne Gewänder gekleidet, huschten umher und räumten auf. Die Drachentochter bemerkte Minas Blick und drehte sich um. Sie lächelte. »Melanie, meine Liebe, bitte kommt später wieder.«
Eine Frau hob den Kopf, zögerte, nickte dann aber zustimmend. »Ja, wie Ihr wünscht.« Sie gab kurze Anweisungen an die anderen, dann verließen alle geschwind den Raum.
»Das sind meine Hofdamen, sie kümmern sich rund um die Uhr um mein Wohlergehen. Jede von ihnen kam im Kindesalter zu mir. Sie selbst haben keine Familien mehr, und deshalb sind wir füreinander da. Wenn du also jemals Zweifel an der Ehrlichkeit eines Bewohners von Tempelburg hast, dann rede mit ihnen. Sie werden dir zur Seite stehen, wie sie es bei mir tun.«
Unwillig brummte Mina. »Ich weiß nicht. Für mich sehen sie eher wie willenlose Bedienstete aus. Ich glaube nicht, dass ich ihre Dienste benötige.«
Die Regentin zuckte mit den Achseln. »Sie sind nicht willenlos, nur loyal. Sie lieben mich, als sei ich ihre Mutter. Und ich respektiere sie, als wären sie meine Kinder.«
Mina schaute sie an. »Da sind wir beim Thema: Wenn es wahr ist, dass Ihr meine Mutter seid, war dann die Ratsversammlung die richtige Umgebung, um es mir schonend mitzuteilen?« Sie klang zornig, und ihre Augen funkelten.
Die Regentin neigte traurig ihren Kopf. »Du hast recht. Es war nicht richtig, und du hättest es verdient gehabt, dass wir uns bei unserer ersten Begegnung unter vier Augen treffen, doch die Situation hatte die ungewöhnliche Offenbarung erfordert. Ich kann dir nicht in fünf Minuten die politische Situation erklären, doch es war ausgesprochen wichtig, dass die Elben und alle anderen Zweifler gezeigt bekamen, dass ich nicht die letzte Drachentochter bin, sondern dass es eine Zukunft – und Hoffnung für alle – gibt.« Sie blickte ihre Tochter an, doch Mina schwieg. »Es tut mir leid, Selene.«
»Mein Name ist Mina.«
Die Regentin faltete ihre Hände, wandte sich ab und ging in die Mitte des riesigen Schlafgemachs. Erst zögerte Mina, doch dann folgte sie ihr. »Wenn es stimmt, dass Ihr meine Mutter seid, wer ist dann … mein Vater?«
»Das ist eine berechtigte Frage, mein Kind. Vorher bitte ich dich aber, mich nicht mehr so förmlich anzusprechen. Du bist meine Tochter und nicht ein Untertan.« Sie zögerte. »Ich heiße Samantha.«
»Gut, Samantha. Und wer ist nun mein Vater?« Mina hörte selbst, wie viel Trotz in ihrer Stimme mitklang, aber es war ihr egal. All das, was in den letzten Wochen geschehen war, all das, was in den letzten Stunden gesagt worden war, all das war ihr einfach zu viel.
Nachdenklich fuhr sich Samantha mit einer Hand durch das Gesicht, dann setzte sie sich auf einen Sessel. »Dein Vater, Mina, war ein Schöpfungssänger. Er war ein guter Mann und der Einzige, den ich jemals geliebt habe. Er hieß Sintan.«
Mina blickte sie interessiert an. Sie kam einige
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