Erbe des Drachenblutes (German Edition)
du mich alleine dort hingeschickt? Wieso hast du mich einfach ausgesetzt? Hättest du mir nicht Vertraute mitgeben können, die mir eines Tages die Wahrheit hätten erzählen können?«
»Das wollte ich!«, entfuhr es Samantha viel zu laut. »Und das hatte ich auch«, fügte sie deutlich leiser hinzu. »Damals folgte den Magiern, die den Übergang in die andere Welt vorbereitet hatten, meine beste Freundin Patlani mit ihrem Mann. Sie beide sollten dich in der anderen Welt großziehen, als ob du ihr Kind wärst. So war der Plan.«
Mina runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht …«
Verbitterung stand in Samanthas Gesicht geschrieben. »Der Magier, der mit dem Übergangsprozess beauftragt war, hatte seine Fähigkeiten überschätzt. Er schaffte es zwar, mit euch dreien in die andere Welt zu gelangen, doch etwas ging schief. Als sie dort ankamen, waren sie alle um Jahrzehnte gealtert. Die Einzige, die unversehrt auf der anderen Seite angekommen war, warst du. Wir nehmen an, dass dein Drachenblut dich von dem fehlgeleiteten Zauber beschützt hatte. Der Mann meiner Freundin überlebte nicht einmal die Reise. Nur sein eingefallener, vergreister Leichnam kam auf der anderen Seite an. Der Magier und meine Freundin überlebten den Übergang zwar, waren nun aber sehr alt und gebrechlich, kurz vor ihrem Lebensende. Sie wussten, dass sie nicht lange genug für dich da sein konnten. Was also hätten sie tun können? So entschieden sie sich, dich in ein Waisenhaus zu bringen und sich aufzuteilen. Patlani wollte in deiner Nähe bleiben, um deinen Werdegang zu verfolgen, solange es möglich war.«
»Ich erinnere mich aber an keine alte Frau aus meiner Kindheit!«, fuhr Mina ihr ins Wort.
»Dann war es wohl nicht allzu lange möglich«, stellte Samantha traurig fest.
»Und wenn das alles stimmt, woher weißt du dann, was nach dem Übergang passiert war?«
»Der Magier«, erklärte Samantha, »er kam zurück, und dabei schaffte er den Übergang, ohne erneut zu altern. Als gebrechlicher alter Mann kehrte er nach Tempelburg zurück, um mir zu berichten, was geschehen war, dann verstarb er nach wenigen Wochen an Altersschwäche. Und mein Drachenblut erlaubte mir, in seinen Augen die Wahrheit seiner Worte zu erkennen. Du, Mina, warst zumindest in der anderen Welt in Sicherheit, auch wenn ich wusste, dass ich meine Freundin und ihren Mann mit dieser Reise zum Tode verurteilt hatte. Und ich selbst konnte nicht fort von hier, um mit dir in der anderen Welt zu leben. Die Verantwortung so vieler Leben liegt allein in meinen Händen, ich konnte dir nicht folgen …«
Mina blickte vor sich ins Leere. »Wie kann das alles sein? Ich war mein Leben lang einfach nur ein normales Mädchen. Hätte ich es nicht spüren müssen, dass ich … anders bin?«
Samantha schmunzelte. »Das hast du sicherlich, mein Kind, doch es war dir nicht bewusst. Dein Drachenblut zum Beispiel ist etwas, was erst erwacht, wenn es an der Zeit ist. Und dies ist ein Faktor, der bei jedem von uns zu einem anderen Zeitpunkt sein kann.«
»Wie meinst du das?«
Die Regentin fuhr sich langsam mit der Linken durch ihre Haare. »Wie alt sehe ich aus?«
Mina zuckte mit den Schultern. »Ich würde sagen, um die vierzig Jahre. Bis auf die Farbe deines Haars kann ich kein ungewöhnliches Zeichen des Alters erkennen.«
Samantha lächelte. »Gut! Doch es stimmt nicht. Ich bin 103 Jahre alt, und ich kam an die Macht, als meine Mutter mit 185 Jahren verstarb. Ich war damals 55 Jahre alt und sah nicht viel älter aus als du heute.«
»Bitte?« Mina riss die Augen auf.
»Ich habe ein recht junges Gesicht, aber meine Haare sind schlohweiß. Warum ist das so? Das liegt nicht an meinem Alter. An dem Tag, an dem das Drachenblut bei uns erwacht, verändern wir unser Aussehen. Das Wissen von Generationen der Drachenkulturen bis hin zu dem Wissen der Göttin Gaia durchfließt uns innerhalb weniger Augenblicke mit einer solchen Macht, dass wir ergrauen. Es ist nicht der Schrecken vor dem, was wir sehen, sondern der Ansturm der unbegreiflichen Massen des Wissens.«
Mina wurde unruhig und rutschte hin und her. Du musst keine Angst vor dem Erwachen haben. Es tut nicht weh, auch wenn es so klingt. Es ist im Grunde wunderbar! Wir sehen und wissen Dinge, die kein Mensch und keine andere Rasse so begreifen können. Das ist das Geschenk der Drachin Lian an all ihre Kinder.«
»Kinder? Wir sind doch Menschen, also wie können wir Kinder eines Drachen sein? Wieso sollten wir das Wissen
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