Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Schritte näher und setzte sich ihr gegenüber. »Und wo ist er heute?«
Ein trauriger Blick streifte sie. Samantha schüttelte den Kopf. »Er ist nicht mehr unter uns. Wir leben in einer gefährlichen Welt, Mina. Hier kann ständig etwas geschehen, was Familien auseinanderreißt und Liebende sterben lässt. Sintan war einer der seltenen Jäger in seinem Volk. Er war schon immer jemand gewesen, der gerne gegen den Strom geschwommen war.« Sie schmunzelte gedankenverloren, dann fuhr sie fort: »Er war aber auch ein einfacher Mann, der große Ideale im Herzen trug. Eines Tages verfolgte er einen Artgenossen, dem Diebstahl vorgeworfen worden war. Was genau geschehen ist, weiß ich nicht, doch Sintan starb an diesem Tag im Wald. Man fand seinen Körper von drei Pfeilen durchbohrt, und man sagte mir, dass die Pfeile dem Mann gehörten, den Sintan verfolgt hatte. Ich selbst habe seinen Leichnam nie gesehen, denn es ist Sitte bei den Schöpfungssängern, ihre Toten innerhalb von vierundzwanzig Stunden dem Feuer zu übergeben.«
Mina schloss die Augen, lange sagten beide nichts. Nach einer kleinen Ewigkeit begann Mina lautlos zu weinen. »Ich weiß nicht, ob du erahnen kannst, wie es ist, als Baby ausgesetzt zu werden. Man weiß nicht, wer seine Eltern sind und warum sie es getan haben. Auch wenn man später Adoptiveltern findet, fragt man sich sein Leben lang dieselben Fragen: Warum wollten mich meine Eltern nicht? Was hat sie dazu getrieben, mich zurückzulassen? Werde ich sie jemals kennenlernen? Bin ich ihnen ähnlich? Kann ich ihnen verzeihen?« Sie verstummte.
»Es tut mir so aufrichtig leid«, flüsterte Samantha leise. »Ich habe das niemals gewollt, dich aber wollte ich von ganzem Herzen! Ich bin zum überwiegenden Teil ein Mensch, aber durch das Drachenblut, das durch meine Adern fließt, kann ich gute zweihundert Jahre alt werden, ohne dass man es mir ansieht. Das Blut meiner Vorfahren schenkt mir auch ein Wissen, das es so nicht noch einmal auf unserer Welt gibt. Doch trotz meines Wissens und meiner Lebenserfahrung kann ich es nicht verhindern, dass auf unserer Familie ein Fluch lastet.«
»Ein Fluch?«
»Ja. Wir bekommen nur sehr selten Kinder, und wenn wir schon den Segen der Empfängnis gewährt bekommen, sind es auch nur die Töchter, die unser magisches Blut erben. Nur sie tragen das Wissen der Drachen in sich. Und diese wenigen Töchter leben ab dem Tag ihrer Geburt gefährlich. Manch einer behauptet, dass ein Fluch über unserer Blutlinie liegt und wir deshalb so viele Kinder verloren haben. Andere wiederum behaupten, dass es nur der schlechte Einfluss der dunklen Mächte sei. Der Mächte, die schon seit Beginn aller Zeiten gegen das Licht und somit gegen die Regentschaft der Drachentöchter kämpfen. Ich weiß leider nicht, was die Wahrheit ist.«
»Nur Mädchen erben das Drachenblut? Was soll das heißen? Sind denn Jungs in der Blutlinie nichts wert?« Ein vorwurfsvoller Ton lag in Minas Stimme.
Samantha schüttelte gleich den Kopf. »Um Gaias Willen, nein! Natürlich sind Knaben das gleiche kostbare Geschenk, doch sie können nicht regieren. Kein Mann saß seit der Befreiung der jungen Völker von den Drachen auf dem Thron. Sie folgen anderen Bestimmungen: Sie werden Gelehrte, Medizinkundige oder Magier, wenn sie doch einen Funken Magie vererbt bekommen haben. Und sie leben nur so lange, wie ein Mensch normalerweise lebt, wodurch eine Drachentochter als Mutter dann tatsächlich ihren eigenen Sohn gezwungenermaßen überlebt.«
Samantha wirkte jetzt schwermütig. Das Thema schien sie aufzuwühlen. Sie sammelte sich. »Ich habe mir schon so lange ein Kind gewünscht, und als ich mit dir erstmalig schwanger wurde, dachte ich, dass mein größter Traum wahr werden würde. Du hattest noch nicht das Licht der Welt erblickt, als Sintan starb. Ich dachte, es würde mich zerreißen. Allein der Wille, mich um dich zu kümmern, dich einst in die Arme schließen zu können, hat mich am Leben erhalten. Doch durch das tragische Ereignis wurde mir auch noch was ganz anderes klar: Ich durfte dich niemals verlieren. Ich musste dich beschützen, und aus den Erfahrungen der letzten Generationen wusste ich, wie viele Kleinkinder und Nachkommen von Lian umgekommen waren. Ich sah nur eine einzige Chance und vertraute mich unseren besten Magiern an. Sie erzählten mir von der anderen Welt, in der es nur Menschen gab und die keinen Zugang zur Magie hatten. Wir dachten, dort seist du sicher.«
»Sicher? Aber wieso hast
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